Das Geheimnis der Monduhr: Roman (German Edition)
Kuss, der für sechs Wochen reichen musste.
»Ich bin ja bald wieder da. Schneller als du denkst. Außerdem ist es nicht weit, nur zwei Flugstunden. Wenn du mich brauchst, bin ich in null Komma nichts hier.«
»Ich hätte mitfahren sollen. Wer ist eigentlich auf die blöde Idee gekommen, dass ich hierbleibe?«
»Du«, sagte Tom, so zärtlich wie er konnte.
Er hatte recht, es war ihre Idee gewesen. Sie hatte einsehen müssen, dass ihre Karriere auf dem Spiel stand. Der Umzug aufs Land war an sich schon ein großes Wagnis gewesen. Ein längerer Auslandsaufenthalt würde einem beruflichen Selbstmord gleichkommen.
Sie war wieder ins Bett geflüchtet, wo sie sich dem Selbstmitleid hingab, als sie spürte, wie die Entfernung mit jeder Minute größer wurde. Sie wusste, wie albern das war, schließlich war sie nicht zum ersten Mal allein. Sie kam sehr gut allein zurecht, das war nicht der Punkt. Es war ihr Traum gewesen, mit Tom zusammen aufs Land zu ziehen,
aber nicht, ihre Tage hier ohne ihn zu verbringen. Sie lag im Bett und hatte das Gefühl, die Vögel machten sich mit ihrem Gezwitscher, mit dem sie den neuen Tag begrüßten, über sie lustig. Zumindest das Wetter zeigte sich etwas einfühlsamer und türmte am Himmel düstere Wolken auf. Holly zog die Bettdecke über den Kopf und versuchte, wieder einzuschlafen. Es war Sonntag, wenigstens rückten heute keine Handwerker an, um die man sich kümmern musste.
Die Vögel hatten ihr nervtötendes Morgenkonzert eingestellt und ließen nur noch dann und wann ein mittägliches Zwitschern hören, als Holly in ihre Jogginghose schlüpfte, die Haare zurückband und in die Küche ging, um einen starken Kaffee aufzusetzen. Als ihr Blick auf Toms halbleeren Kaffeebecher fiel, der einsam und verlassen auf dem Küchentisch stand, musste sie sich auf die Lippen beißen, um einen Seufzer zu unterdrücken.
»Alte Heulsuse«, schimpfte sie sich. »Mrs Bronsons Skulptur macht sich nicht von allein.«
Sie atmete tief durch und straffte die Schultern, um sich aufzuraffen. Beim Ausatmen fiel sie wie ein luftleerer Ballon in sich zusammen. Sie versuchte es erneut, doch bevor ihre guten Vorsätze ein zweites Mal verpufften, nahm sie schnell Toms Becher, spülte ihn und verstaute ihn im Schrank, damit er aus dem Blickfeld war.
Mit ihrem Kaffee bewaffnet schlurfte Holly ins Arbeitszimmer, wo ihr noch flauer im Magen wurde. Obwohl es bis zur Fertigstellung des Ateliers vorübergehend ihr Revier war, sollte es eigentlich Toms Arbeitszimmer werden. Aber Tom war ja kaum da.
Das Zimmer ging nach vorne hinaus, es hatte einen
offenen Kamin, ein großes Erkerfenster und eine pastellfarbene geblümte Tapete, alles, was den gemütlichen und einladenden Charme eines Landhauses ausmachte. Doch in Hollys Augen wirkte der Raum jetzt nur kalt und unwirtlich und beklemmend leer. Die klaren Linien der modernen Möbel, die Holly und Tom aus der Stadt mitgebracht hatten, bildeten keinen aparten Kontrast mehr, sondern erschienen ihr wie der Zusammenprall zweier Welten. Langsam kamen ihr Zweifel, ob sie sich an ein Leben auf dem Land überhaupt jemals gewöhnen würde.
Die Atmosphäre des Raumes lenkte sie so sehr ab, dass sie nach einem halbherzigen Versuch, sich an die Arbeit zu machen, aufhörte und sich in das geräumigere Wohnzimmer verzog. Seine Fenster gingen nach vorne und nach hinten zum Garten hinaus, aber auch das zusätzliche Tageslicht half nichts; sie konnte sich immer noch nicht auf ihre Arbeit konzentrieren.
Irgendwann ging sie in die Küche, der einzige Raum, der so bleiben sollte, wie er war. Nur ein langer Holztisch aus Grandma Ediths Besitz war dazugekommen. Der Tisch hatte eine Vergangenheit, eine gute Vergangenheit.
Schließlich gelang es Holly, ein paar Skizzen anzufertigen. In drei Tagen sollte bereits das entscheidende Treffen mit Mrs Bronson stattfinden. Sie hatte etliche Ideen zu Papier gebracht, die wahrscheinlich dem Geschmack ihrer Kundin entsprachen, aber nichts, was sie selbst befriedigte. Sie musste mit dem Herzen bei der Sache sein, sonst konnte sie einen Entwurf nicht umsetzen und ihm eine eigene Formensprache geben. Den Auftrag hatte sie nur aus finanziellen Gründen angenommen, worauf sie keineswegs
stolz war. Allerdings kam für sie überhaupt nicht in Frage, ein Werk zu produzieren, unter das sie nur ungern ihren Namen setzte. Dagegen hätte ihr Gewissen rebelliert.
Holly griff nach zwei Skizzen, die sie in die engere Wahl gezogen hatte. Eine stellte Mutter und
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