Das Geheimnis der Monduhr: Roman (German Edition)
guter
Freund von mir, und ich hab ihn sehr gern, aber ich kann ihn nur in homöopathischen Dosen vertragen.«
Holly lachte. »Ich glaube, ich verstehe, was Sie meinen. Er hat ziemlich festgefahrene Ansichten. Jedenfalls hat er Tom ganz schön die Hölle heißgemacht, weil er mich hier allein lässt.« In der Annahme, dass Jocelyn nicht wissen konnte, dass Tom im Ausland zu tun hatte, schickte sie eine Erklärung hinterher. »Tom ist heute früh nach Belgien geflogen, er wird die nächsten sechs Wochen weg sein.«
»Ich weiß, deshalb bin ich ehrlich gesagt auch hier.« Jocelyn lächelte verlegenen. »Billy meinte, jemand zum Reden täte Ihnen gut, und da kamen nur er oder ich in Frage.«
Holly fragte sich, ob Tom und ihr wohl irgendeine Form von Privatleben bleiben würde. Das Leben auf dem Land, so viel stand schon mal fest, bedeutete eine ganz schöne Umstellung. Vielleicht gab es ja einen Dorfausschuss, dem sie ihren nächsten Fünfjahresplan zur Unterzeichnung vorlegen musste.
»Vielen Dank, das ist sehr nett«, erwiderte Holly, diesmal aufrichtig dankbar. Toms Eltern hatten versprochen, regelmäßig bei ihr vorbeizuschauen, aber sie wohnten in der übernächsten Ortschaft. Und die wenigen Freunde, die Holly hatte, lebten alle in London. Plötzlich wurde ihr klar, dass die Leere, die Toms Abreise hinterlassen hatte, nicht nur innere Einsamkeit war, sondern auch damit zu tun hatte, dass kein anderer Mensch in diesem Haus war.
»Keine Ursache.« Jocelyn nippte an ihrer Tasse. Sie zögerte, bevor sie fortfuhr. »Um ehrlich zu sein, ich war
einfach neugierig, wie es hier aussieht. Es ist schon so lange her, dass ich zuletzt hier war.«
»Tatsächlich?«, fragte Holly. »Kannten Sie jemanden, der hier gewohnt hat?«
»Ich habe selber hier gewohnt.«
»Im Ernst?« Holly schnappte nach Luft. »Wann? Wie sah es hier aus? Warum sind Sie ausgezogen?« Die Fragen purzelten geradezu aus Hollys Mund.
»Ach, das ist bestimmt schon fünfundzwanzig Jahre her. Damals war das hier eine topmoderne Küche aus orangefarbenem und braunem Melamin.«
»Typisch siebziger Jahre«, bemerkte Holly.
»Erraten. Aber ich bin erst Anfang der Achtzigerjahre ausgezogen. Meinem Mann waren Geschmacksfragen ziemlich gleichgültig.«
»Warum sind Sie denn ausgezogen? Und wer hat nach Ihnen hier gewohnt?« Holly wollte unbedingt die ganze Geschichte des Hauses hören, das jetzt ihr Zuhause war.
»Das ist eine lange Geschichte«, seufzte Jocelyn. »Ich bin ausgezogen, weil ich meinen Mann verlassen habe. Er wohnte hier noch ein paar Jahre, dann ist es verkauft worden.«
»Entschuldigen Sie, ich wollte nicht indiskret sein.« Holly lagen noch eine ganze Reihe Fragen auf der Zunge, aber sie war so taktvoll, sie sich zu verkneifen.
»Schon gut. Dieses Haus birgt für mich ein paar sehr schöne Erinnerungen. Und ein paar weniger schöne«, fügte sie nachdenklich hinzu. »Ich hoffe, Sie werden hier glücklich. Das werden Sie ganz bestimmt.«
Anstatt sich näher über ihr Leben im Torhaus auszulassen, zog Jocelyn es vor, Holly mit den geselligen Highlights von Fincross vertraut zu machen. Sie erzählte von den Raterunden abends im Pub, von der Karaokenacht in der nächsten Kneipe, von den unzähligen Benefizveranstaltungen und Bingoabenden im Gemeindesaal. Und sie bot Holly an, sie mitzunehmen, sofern sie Lust dazu hatte und mal unter die Leute gehen wollte.
»Und dann natürlich ist da noch mein kleines Café gegenüber der Kirche. Eins müssen Sie mir versprechen. Dass Sie im Lauf der Woche dort vorbeischauen und ich Sie zum Tee einladen darf.«
Holly blieb nichts anderes übrig, als pausenlos zu nicken. Jocelyn entpuppte sich als Balsam für ihr einsames Herz. »Abgemacht«, versprach sie.
»Jetzt aber Schluss mit all den Höflichkeiten. Im Stillen halten Sie mich sicher für eine neugierige Nervensäge«, lachte Jocelyn »Aber ich weiß aus Erfahrung, wie schnell man in einem Dorf ausgegrenzt werden kann. Sie sind offenbar eine junge Dame, die auf eigenen Füßen steht und ihren eigenen Kopf hat. Doch das kann sich auch als Nachteil erweisen. Für mich hat es sich jedenfalls als Nachteil erwiesen.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Holly in der Hoffnung, Jocelyn noch mehr von ihrer Lebensgeschichte entlocken zu können.
»Sie erinnern mich ein bisschen an mich damals. Aber vielleicht liegt das nur an der gemeinsamen Beziehung zu diesem Haus. Ich hoffe es jedenfalls. Ich bin im Dorf geboren und aufgewachsen, und ich hatte von einer
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