Das Geheimnis Der Schönen Toten
Kummer. Ich kann Euch sagen, woher er den Ring hat. Er nahm ihn aus einer kleinen Schachtel, die ich in meinem Wäscheschrank aufbewahre. Es liegen noch ein paar andere Dinge darin, eine Nadel zum Befestigen eines Umhangs, ein einfacher silberner Halsring, ein Band...
Alles Kleinigkeiten, aber man hätte sie erkennen und ihr so einen Namen geben können, selbst nach Jahren noch.«
»Wollte Ihr etwa sagen«, fragte Radulfus, der dem leisen, distanzierten Tonfall der Stimme, die solche Dinge äußerte, ungläubig gelauscht hatte, »daß diese Dinge der toten Frau weggenommen wurden? Daß sie tatsächlich Generys ist, Rualds Frau?«
»Ja, es ist wirklich Generys. Ich hätte es sofort sagen können, wenn mich jemand gefragt hätte. Ich hätte auch sofort ihren Namen genannt. Ich pflege nicht zu lügen. Ja, der Schmuck gehörte ihr.«
»Es ist eine schreckliche Sünde«, ließ sich der Abt ernst vernehmen, »von den Toten zu stehlen.«
»Diese Absicht hat nie bestanden«, entgegnete sie mit unerschütterlicher Ruhe. »Aber ohne diese Dinge wäre schon nach kurzer Zeit niemand mehr in der Lage gewesen, sie zu benennen. Wie Ihr erfahren habt, ist niemand dazu in der Lage gewesen. Aber es war nicht meine Entscheidung, ich wäre nicht so weit gegangen. Ich glaube, daß Sulien die Schachtel gefunden haben muß, als er nach Wilton den Leichnam meines Gemahls von Salisbury nach Hause brachte und wir ihn begruben und all seine Angelegenheiten und Schulden regelten. Er kannte den Ring. Als er seinen Beweis brauchte, um zu zeigen, daß sie noch lebte, kam er nach Hause und nahm ihn an sich. Sonst hat niemand ihre Habseligkeiten getragen oder angerührt. Sie befinden sich einfach in sicherem Gewahrsam. Ich bin gern bereit, sie Euch oder jedem anderen zu übergeben, der ein Recht daraufhat. Bis gestern abend hatte ich die Schachtel nicht mehr geöffnet, seit ich sie in meinen Wäscheschrank gelegt. Ich wußte nicht, was er getan hatte. Eudo auch nicht. Er weiß nichts von dieser Sache. Und soll auch nie etwas davon erfahren.«
Aus seiner geschützten Ecke, aus der er beobachten konnte, ohne sich beteiligen zu müssen, ließ sich Cadfael zum ersten Mal vernehmen. »Ich denke auch, daß Ihr vielleicht noch nicht alles über Euren Sohn Sulien wißt, was Ihr zu wissen wünscht. Erinnert Euch an die Zeit, in der Ruald in dieses Haus eintrat, nachdem er seine Frau verlassen hatte. Wieviel wußtet Ihr von dem, was damals in Sulien vorging? Habt Ihr gewußt, wie tief seine Zuneigung zu Generys war? Eine erste Liebe, wie immer die verzweifeltste. Habt Ihr gewußt, daß sie ihm in ihrer Verlassenheit eine Zeitlang Anlaß gab zu glauben, dem könnte abgeholfen werden? Obwohl es in Wahrheit nicht so war?«
Sie hatte den Kopf gedreht und fixierte Cadfaels Gesicht mit ihren tiefliegenden dunklen Augen. Dann sagte sie mit fester Stimme: »Nein, das habe ich nicht gewußt. Ich wußte, daß er sie oft in ihrem Häuschen besuchte. Das hatte er seit seiner frühen Kindheit getan, denn sie hatten ihn gern. Aber falls es eine so extreme Veränderung gegeben haben sollte, nein, davon hat er nie etwas verlauten oder erkennen lassen. Sulien war ein verschwiegenes Kind. Was Eudo hingegen Kummer machte, habe ich immer gewußt, denn in ihm kann ich lesen wie in einem aufgeschlagenen Buch. Bei Sulien war das nicht möglich!«
»Er hat uns erzählt, daß es so war. Und habt Ihr gewußt, daß er wegen dieser Bindung selbst dann noch hinging, als sie es für richtig gehalten hatte, seiner Illusion ein Ende zu machen? Und daß er dort in der Dunkelheit auf dem Feld stand«, sagte Cadfael mit trauriger Sanftheit, »als Generys begraben wurde?«
»Nein«, erwiderte Donata, »das habe ich nicht gewußt.
Erst jetzt hatte ich begonnen, es zu befürchten. Daß er das oder etwas anderes gewußt hat, was für ihn nicht weniger schrecklich war.«
»Schrecklich genug, um vieles zu erklären. Etwa weshalb er sich entschloß, die Kutte anzulegen, aber nicht hier in Shrewsbury, sondern weit weg, in Ramsey. Was habt Ihr Euch denn dabei gedacht?« wollte Hugh wissen.
»Für ihn war das gar nicht so sonderbar«, erwiderte sie und sah mit einem schwachen und wehmütigen Lächeln in die Ferne. »Das war bei Sulien ohne weiteres möglich. Stille Wasser sind tief, heißt es doch, und er grübelte viel. Und dann herrschten Bitternis und Schmerz in unserem Haus, und ich weiß, daß er das unweigerlich spüren und darunter leiden mußte. Ich glaube, ich war damals nicht
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