Das Geheimnis Der Schönen Toten
in dem normalerweise Bruder Vitalis, der Kaplan und Sekretär, zu dieser Stunde gearbeitet hätte, und Abt Radulfus ergriff ihre Hand auf der anderen Seite und führte sie zu einem für sie vorbereiteten bequem gepolsterten Platz, auf dem sie sich mit dem Rücken gegen die Wandtäfelung lehnen konnte.
Cadfael, der dieser umständlichen Zeremonie zusah, ohne den Versuch zu machen, sich daran zu beteiligen, dachte, daß sie etwas von der Inthronisierung einer Herrscherin an sich hatte. Vielleicht amüsierte es sie insgeheim sogar. Die Privilegien ihrer tödlichen Krankheit waren ihr fast aufgezwungen worden, und was sie darüber dachte, würde vielleicht nie jemand erfahren. Gewiß war nur, daß sie eine unzerstörbare Würde besaß sowie ein großes und nachsichtiges Verständnis für die Besorgtheit und selbst das Unbehagen, das sie bei anderen auslöste und so gnädig ertragen mußte. Mit ihrer für diesen Anlaß, der für sie sowohl eine Prüfung als auch einen Höflichkeitsbesuch darstellte, sorgfältig ausgewählten Kleidung legte sie sogar eine spröde und bewundernswerte Eleganz an den Tag. Ihr Gewand war so tiefblau wie ihre Augen und wie diese ein wenig verblaßt, und das ärmellose und bis zu den Hüften ausgeschnittene Bliaut, das sie darüber trug, war von dem gleichen Blau und an den Säumen in Rosa und Silber bestickt. Die Weiße ihrer leinenen Guimpe ließ ihre abgemagerten Wangen in dem mittäglichen Licht in einem durchsichtigen Grau erscheinen.
Pernel war ihr schweigend in den Vorraum gefolgt, betrat aber nicht das Empfangszimmer. Sie stand mit ihren goldbraunen, runden und ernst dreinblickenden Augen in der Tür.
»Pernel Otmere ist so liebenswürdig gewesen, mich den ganzen Weg zu begleiten«, sagte Donata, »und ich bin ihr dafür mehr als dankbar, aber man sollte sie nicht der Ermüdung aussetzen, der langen Konferenz beizuwohnen, die ich Euch, wie ich fürchte, wohl aufzwingen muß, meine Herren. Wenn ich als erstes fragen darf... wo befindet sich mein Sohn jetzt?«
»Er ist im Schloß«, erwiderte Hugh einfach.
»Hinter Schloß und Riegel?« fragte sie unverblümt, aber ohne Vorwurf oder Erregung. »Oder steht er unter Arrest?«
»Er darf sich auf dem Schloßgelände frei bewegen«, sagte Hugh, fügte aber kein weiteres aufklärendes Wort hinzu.
»Hugh, könntet Ihr dann so freundlich sein, Pernel mit einer Art Vollmacht auszustatten, die ihr Zutritt zu ihm verschafft, dann könnten die beiden die Zeit gemeinsam angenehmer verbringen als getrennt, während wir beraten?
Ohne daß ich damit irgendwelchen Dingen vorgreifen will«, sagte sie sanft, »die Ihr für später vielleicht geplant habt.«
Cadfael sah, wie Hughs schwarze Augenbrauen verräterisch zuckten und sich anerkennend hoben, und dankte Gott inbrünstig für ein Verständnis, das zwischen zwei so verschiedenen Menschen höchst selten ist.
»Ich werde ihr meinen Handschuh geben«, sagte Hugh und warf einen scharfen, anerkennenden Seitenblick auf das stumm dastehende Mädchen in der Tür. »Niemand wird dieses Zeichen in Zweifel ziehen, mehr ist nicht nötig.«
Dann ging er zu Pernel, nahm sie bei der Hand und verließ mit ihr den Raum.
Sie hatten diese Pläne natürlich schon am Vorabend oder an diesem Morgen im Wintergarten von Longner geschmiedet, wo die Wahrheit ans Licht gekommen war, soweit sie bekannt war, oder frühmorgens auf dem Ritt hierher, bevor sie überhaupt die Fähre über den Severn erreichten, wo Cadfael sie getroffen hatte. Eine Verschwörung unter Frauen, ausgeheckt in der Halle von Eudos Gutshaus, die einerseits Eudos Rechte und Bedürfnisse ebenso angemessen berücksichtigte wie die zufriedene Schwangerschaft seiner Frau, andererseits aber auch Pernel Otmeres entschlossene Suche nach einer Wahrheit nährte und förderte, die Sulien Blount von jeder Heimsuchung und jeder ritterlichen Last befreien würde, die ihn niederdrückte. Die junge Frau und die alte - alt nicht an Jahren, nur in der Geschwindigkeit, mit der sie sich dem Tod näherte - waren zusammengekommen wie Magnetit und Metall, um ihre eigene Gerechtigkeit zu schmieden.
Hugh kehrte mit einem Lächeln in den Raum zurück, obwohl dieses Lächeln nur für Cadfael sichtbar war.
Gleichwohl war es etwas gequält, denn auch er war auf der Suche nach einer Wahrheit, die vielleicht nicht die von Pernel war. Er schloß die Tür gegen die Außenwelt.
»Und nun, Madame, wie können wir Euch zu Diensten sein?«
Donata hatte sich bequem in einer
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