Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
wird, sei insgemein kaum dem zu vergleichen, so in Frankreich auf unterster Staffel steht«; was für Leibnizens Zeit auch stimmen mag und die Bezeichnung seiner Schrift von 1703 rechtfertigt: »Ermahnung an die Teutschen, ihren Verstand und Sprache besser zu üben.« Auch ihren Verstand, der sich noch rund hundert Jahre Zeit ließ, um seinen vollen Befähigungsnachweis zu erbringen; der ihn dann aber auch, so in den Lebenswerken des Kant und der Klassiker von Weimar, sehr schön erbracht hat. Immerhin, Leibnizens Anklage besteht und wird noch heute mit Erfolg verwertet, um die deutsche Prosa auf dem Sünderbänkchen festzuhalten. Der Unterschied der Jahrhunderte spielt dabei keine Rolle; denn – so argumentieren die Strafanwälte – wenn schon um 1700 eine so schlechte Zensur ergehen mußte, und wenn sie sich bis auf unsere Tage so oft wiederholte, so muß doch wohl tief im Innern ein Krebsschaden stecken; wir unterscheiden da nicht viel nach Zeitaltern, sondern sagen deutsche Prosa im allgemeinen und drücken dieser in riesigen Zeichen das Brandmal auf den breiten Buckel.
So überspringen denn auch wir die Zeit, um einem weiteren Kläger das Wort zu geben: dem Dichterkomponisten Richard Wagner , genauer seinen Jüngern, durch deren Mund er sich verkündete.
Die Apostel jener Tage, Hans von Wolzogen, Edmund von Hagen, Porges, die ihre Weihen auf Sinai-Wahnfried empfangen hatten, schlugen uns jahrelang das Schlagwort » Verrottung der deutschen Sprache « um die Ohren, und die Welt horchte hoch auf, denn sie glaubte die letzte Offenbarung Gott Wagners zu vernehmen. Und es war ja auch seine Stimme, seine Anklage, die mit gewohntem Radikalismus ganze Arbeit machte. Was verschlug es, daß damals noch Sprachkünstler blühten wie Heyse, Storm, Keller, Raabe, Scheffel, Bodenstedt, Gregorovius, Nietzsche, Helmholtz, Frenzel, Bulthaupt, Hanslick, daß Geibel noch nicht verklungen war, Hebbel im Neuklang mächtig emporwuchs?! Die Verrottung der deutschen Sprache blieb das Leitmotiv, in dem alle Fluch-, Drohungs- und Vernichtungsmotive des Meisters zu neuzeitlicher Fehde zusammentrafen. In den Bayreuther Blättern und in den verwandten Abhandlungen wurde aber neben dem Laster nicht nur der Teufel gemalt, sondern zur andern Seite der rettende Engel, der die »Errettung der deutschen Sprache«, zumal der Prosa, in mögliche Aussicht stellte. Man hatte nur nötig, allen überkommenen Idealen in Bußfertigkeit zu entsagen und sich in das Bayreuther Korrektionshaus zu begeben, um Deutsch zu lernen: eine aus Wagners Altersstil abgeleitete, stelzbeinige, in allen Satzfugen schlotternde, in den undenkbarsten Konstruktionen verrenkte Prosa. Aber die Autorität stand dahinter, Wagners Autorität, mit der Ansage: Sie haben jetzt gesehen, was wir können, – wenn Sie wollen, werden wir eine Sprach-Kunst haben! eine Vertröstung auf die Zukunft, eine Verwerfung der Sprach-Gegenwart und -Vergangenheit.
Die Reihe der Ankläger könnte beliebig verlängert werden. Die Führer der neuen Sprachbewegung halten deren Kraftworte am Schnürchen bereit, und man braucht sie bloß abzulösen, um den ganzen Aufmarsch der trotzigen Anwälte sichtbar zu machen. Herder ist darin vertreten und Bürger, Schopenhauer und Nietzsche, Treitschke und – ja wer nicht? wer von den besten hätte nicht aus dem Zorn einer Stunde oder aus dem Zorn eines Lebens heraus die Sprache und die Wortführer verantwortlich gemacht für das Unbehagen des eigenen Schaffens? Sagen wir einfach: Jedermann hat so gedacht und geschrieben, besonders wenn Herr Jedermann in die Lage kam, mit der Sprache zu kämpfen und ihr mehr abzuverlangen, als sie ihm just hergeben mochte; was ja recht eigentlich das Los aller Könner war und ist. Und da ihm dann immer das Hemd näher saß als der Rock, die Muttersprache näher als irgend welche andere, so entlud sich naturgemäß sein Weheschrei gegen das kratzende Hemde. Leicht wird dann verallgemeinert, fast immer mit dem verschluckten Vorbehalte, daß er, der Weherufer, eigentlich doch der Einzige sei, der selbst mit dieser Sprache etwas anzufangen wüßte. So bei Wagner, so bei Nietzsche, wenn er behauptet, das »Schlecht-Schreiben würde in Deutschland als ein nationales Vorrecht behandelt«, wobei hinzuzudenken, daß Er, Nietzsche, auf solche nationale Vorrechte keine Ansprüche erhebe. Nur einer sei noch genannt, der alte Philander von Sittewald, Moscherosch, der uns besonders interessant wird, da er zu den Strafakten gleich die
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