Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
marmo solo non in se conscriva – der beste Künstler hat keine Eingebung, die ein einzelner Marmorblock nicht in sich faßt. Das will sagen: Alle Vollendung liegt im Rohstoff beschlossen; die Begabung des Einzelnen zieht nur eine der Teilformen heraus, deren unendliche Gesamtheit der Stoff als das Genie aller Genies in sich trägt. Und man braucht nicht beim handgreiflichen Stoff stehen zu bleiben. Die Farbe des Malers erscheint schon vergeistigter als der Stein, denn sie ist ja nicht mehr bloße Substanz, Ölstoff, sondern Farbe an sich, Spektrum, zerlegter Lichtstrahl in aller Mannigfaltigkeit von Rot zum Violett. Aber wenn Goethe die substanzlose Sprache als Stoff für seine Gestaltung begreift, – wogegen gar nichts einzuwenden, – so liegt nichts im Wege, auch die substanzlose Farbe, das aufgelöste Licht, also den Inbegriff aller Sichtbarkeit als Stoff zu nehmen, aus dem der Maler seine Werke zu entwickeln hat. Und sonach hätte wiederum ein mißlauniger oder verzweifelter Künstler die Befugnis, die Lichterscheinungen zu bemängeln und auf die Farbigkeit der Natur zu schelten, weil ihm – siehe Lessing – auf dem langen Wege aus dem Auge durch den Arm in den Pinsel allzuviel verloren geht. Und dieses vermeintliche Recht tritt ja auch tatsächlich in Übung. Haben wir nicht Futuristen bestaunt, welche die vorhandene Farb-Natur als unkünstlerisch verwerfen? nicht expressionistische Aussprüche erlebt, in denen die von unseren Augen wahrgenommenen Erscheinungen der Wirklichkeit als Kunstgestümper der Schöpfung bemäkelt wurden? Nichts liegt solchen Bildnereien und Urteilen zugrunde, als die Ohnmacht des Kleinen gegenüber der Unermesslichkeit des Stoffes; nur dass hier der bis auf die äußerste Spitze getriebene Widersinn der Anklage ganz unverhüllt zu Tage tritt, mit der Wirkung, dass eine ins Delirium umschlagende Ohnmacht uns zum Gelächter reizt.
Zu sehen ist jedem gegeben, zu fühlen nur wenigen, sagt Macchiavelli; er hätte hinzufügen können: mit dem Sprachgefühl zu fühlen nur den allerwenigsten. Darum bemerken wir den Widersinn in jenem Fall sofort, weil es sich um das Sehen handelt, um Bilder und gesehene Natur. Aber in Angelegenheiten der Sprache verbirgt sich der Widersinn für uns oft genug in ästhetischen Tiefen. Auch das Drama weiß davon zu erzählen. Wir stecken über und über in dramatischen Reformen, hören aber fast nie die Losung: laßt uns bessere Stücke schreiben, sondern in der Regel die umgekehrte Forderung: die Bühne muß emporgezogen, das Theater hinaufgepflanzt werden, womöglich bis zur Höhe gewisser Stücke, die dem Ideal des Reformers entsprechen. Widersinn. Die Bühne ist immer das Höchste, und jedes mögliche Schauspiel nur ein Teilversuch, diese Höhe zu ermessen. Was der Marmor für den Bildhauer, die Farbe für den Maler, die Sprache für den Dichter und Denker, das ist die Bühne für die Möglichkeiten des Darstellbaren, und seit Thespis war sie bereits der Inbegriff alles Denkbaren, was jemals bis in die entlegenste Zukunft auf ihr und durch sie wird Wirklichkeit werden können. Sie läßt sich weder hinaufziehen, noch tadeln, und zu irgend welchem Ankläger mag sie sprechen: nichts Geniales vermagst du zu schaffen, was nicht in mir schon vorgebildet vorhanden war.
Letzten Endes berühren sich diese Fragen mit den Untersuchungen darüber, ob die Welt gut oder böse, die beste oder die schlechteste aller Welten sei, und wenn einer die Sprache gegen ihre Bemängler verteidigt, so kommt er sich etwa vor, wie der Verfasser einer Theodicee, einer Rechtfertigung Gottes, des Schöpfers, der gegen die Vorwürfe der von ihm Geschaffenen zu schützen wäre. Das Gleichnis stimmt auch in sofern, als auch hier, im Sprach-Falle, die Geschaffenen sich in Gedanken an die Stelle der Meisterkraft stellen und uns erzählen, dass sie die Sache wesentlich besser gemacht hätten. Und wen könnte man wohl als geeigneten Vertreter der Theodicee einsetzen? Ich denke doch, wiederum Leibniz, den wir vorher unter den Teufelsadvokaten erblickten, der aber doch als advocatus dei und der besten aller Welten noch berühmter geworden ist. Aber Leibniz würde einen Vorbehalt machen. Er könnte sich vielleicht entschließen, für die Allmacht der Sprache zu plädieren, mit der Einschränkung: die deutsche Sprache nicht inbegriffen; denn diese, so wie er sie vorfand, hat ihm wirklich nicht gefallen.
An diesem Punkte scheint sich der Prozeß zu spalten. Wenn auch die Sprache als solche,
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