Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Reinheit nicht das letzte Wort in Angelegenheiten der Sprache ausgesprochen ist.
Gilt dies schon vom klanglichen Urstoff, vom Einzelton und Einzelwort, so wird die Beziehung noch viel sinnfälliger in der Betrachtung des Ausdrucks bestimmter Gedanken, bei deren Gestaltung es auf Logik, Erfindung und geistige Bedeutsamkeit ankommt. Ich verfolge das Gleichnis an einem bestimmten Beispiel der Hervorbringung, das durch lange Zeit zum Geschrei über »Verstimmtheit« Anlaß gegeben hat. Ließen wir vorher Beethoven seine Eroica an einem unreinen Instrument entwickeln, so wählen wir nunmehr einen noch für sich »verstimmten« Punkt aus dieser Symphonie selbst, zum Beweise dafür, daß es in höchsten Gebilden der Kunst auf Reinheit im überlieferten Sinne ganz und gar nicht ankommt.
Ich meine die unter dem Namen »Cumulus« berühmte Stelle aus dem ersten Satze jener Symphonie, die allen Ohren zuerst so unrein, so außerhalb aller möglichen Stimmung erklang, daß man allgemein einen Irrtum des Verfassers oder einen Druckfehler annahm. »Infam falsch!« rief Beethovens Intimus Ries, der in der Probe neben dem Komponisten stand, und noch Richard Wagner war der Meinung, daß der Cumulus, die schreckliche Dissonanz, nicht stehen bleiben dürfe. Sie ist aber doch stehen geblieben, sieghaft, richtunggebend, und wie sie zuerst das Regulativ der Reinheit überwand, so hat sie für zahllose andere Cumulusse Raum geschaffen, die seitdem die Musik bevölkern. Mit der Sprachdissonanz steht es nicht anders. Sie kann verwerflich sein, wenn sie eben nichts anderes tut als dissonieren; wird uns dies aus dem Zusammenhang erwiesen, so wollen wir es mit den Reinlichkeits-Eiferern halten und uns für diesen Fall die Puristenkokarde an den Hut stecken. Rührt sie aber mit ihrer Verstimmtheit an Geheimnisse, rüttelt sie an knarrenden Torflügeln, so soll uns der Mißlaut nicht schrecken, und wir werden uns hüten, jenes »Infam falsch« nachzusprechen.
Die geistige Höhe meiner Leser schützt mich wohl vor dem Verdacht, als wollte ich hier der Unreinheit ein Preislied singen. Aber ich weiß auch, daß mir dieser Vorwurf nicht erspart bleiben wird, und ich darf nicht annehmen, daß die bisher betonten Gründe ausreichen, um die Verfechter der blankgewaschenen Reinlichkeit zu entwaffnen. Das kann nur in einem Turnier von vielen Kampfgängen geschehen, und zu diesem wird sich in vorliegender Schrift ausreichende Gelegenheit bieten. Es erscheint mir indes erforderlich, mich schon in den einleitenden Anläufen mit dem Hauptschlagwort meiner Gegenkämpen auseinanderzusetzen. Sie gebrauchen es wie etwas Axiomatisches, wie einen Grundsatz der Mathematik. Reinheit! wer wagt dagegen den Mund aufzutun? Reinheit, – das Wort strahlt in unüberbietbarer Glaubhaftigkeit. Wie den leuchtenden Gral schwingen sie es zu Häupten, jeder ein Parsifal, durch Mitleid wissend; durch Mitleid mit der deutschen Prosa, wissend, daß nur sie die Sprache von ihrer Unreinheit zu erlösen vermöge. Aber was sie durch Mitleid nicht wissen, ist, daß der wirkliche Prosaschreiber, der Gedankenformer, in einer vollkommen reinen Sprache nicht zu leben vermag.
Es ist mit der Sprache wie mit der Lufthülle, die uns umgibt. Wer jede Beimischung verwirft, wie kommt der über die Tatsache hinweg, daß der schädliche, der todbringende Stickstoff zu fast drei Vierteln der Atmosphäre beigemengt ist? Er müßte sagen: dieser infame Stickstoff muß heraus aus der Luft, wir wollen nur in gereinigter Hülle, in reinem Sauerstoff atmen! Versuche er's!
Reinheit und Gediegenheit sind bedeutungsnahe Begriffe, also könnte man diese Betrachtung auch auf das Metallische ausdehnen. Gediegen kommt her von gedeihen, und so liegt die Frage nahe, ob unter allen Umständen Gedeihliches herauskomme, wenn das gediegene, reine Edelmetall verwendet wird. Die Natur antwortet darauf mit nein, ganz deutlich, und sie bezieht ihre Antwort auf den Fall, daß das Metall selbst Sprache gewinnt. Dies geschieht bei der Glocke, die sich gegen die Reinheit im Puristensinn wehrt. Goldklang, Silberklang – sehr schöne Worte der Lyrik, unbrauchbare im Vokabular der Glockensprache. Man hat es durch Versuche festgestellt, daß eine Glocke um so schlechter klingt, je »edler« sie metallurgisch wird. Nichts andres will sie haben, als Kupfer und das ordinäre Zinn, daß rein und voll die Stimme schalle, und sie verlegt sich aufs Mißtönen, wenn man ihr statt des Gemisches eine Gediegenheit aufreden will. Was in
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