Das Geheimnis der Tarotspielerin: Zweiter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Gesicht. Oh, noch war nicht alles für ihn und sein Haus verloren. Er würde eines Tages einen Erben haben und den Titel von Löwenstein in das Handelswappen seines Rüstungsgeschäfts aufnehmen. Van Berck und von Löwenstein , das war ein Name, der die Jahrhunderte überdauern würde. Das hatte einen Klang wie bester Waffenstahl.
Und es gab einen Weg, sich diesen Namen zu sichern – trotz der unklugen Ehe seiner Tochter. Man musste nur eins und eins zusammenbringen, um daraus zwei zu machen. Mit der Liebe rechnen. Rechnen, jawohl, rechnen. Die Liebe war kein Geheimnis, das sich logischen Regeln entzog. Es gab eine Mathematik der Gefühle. Man musste nur zueinander fügen, was zusammengehörte, so wie der Adel es schon immer gehalten hatte.
»Ich wollte dich noch um etwas bitten«, riss Sidonia den Vater aus seinen Träumen.
»Jederzeit, mein Kätzchen. Du darfst mich um alles bitten. Mir lag dein Glück schon immer am Herzen.«
Misstrauisch zog Sidonia die fein geschwungenen Brauen zusammen. Was ging im Kopf des Vaters vor, das ihn plötzlich so milde stimmte? Sein Herz wurde seit jeher von Berechnung regiert. Irgendeine Kosten-Nutzen-Aufstellung schien es auch jetzt zu erwärmen.
»Ich möchte Lunetta mit den Grundlagen des Fernhandels vertraut machen. Sie ist ein wissbegieriges Kind. Es würde sie beschäftigen und ihr Heimweh lindern. Sie lernt mit Begeisterung und beherrscht dank ihrer Hofreisen mit dem Grafen viele Sprachen. Auch die englische Zunge! Das könnte bei unserem Rüstungshandel mit London nützlich sein.«
Claas van Berck verschluckte sich am Wein und hustete wieder. Sidonia glitt zu seinem Sessel hinüber und klopfte ihm kräftig auf den Rücken in Erwartung seines Wutanfalls.
Der Vater hatte es stets verabscheut, dass sie Rechenbrett, Münzwaage und Kontobücher dem Lautenspiel und dem Stickrahmen vorgezogen hatte. Nur zu gern hätte er an ihrem Beispiel vorgeführt, dass er sich adligen Müßiggang leisten konnte. Dabei war es in Köln üblich, dass Frauen die Geschäfte der Väter oder Ehemänner mitführten, dass sie zu Messen reisten, ganze Weinernten aufkauften oder in der Frauenzunft der Seidweberinnen Geschäfte betrieben. An den Woll- und Eisenwaagen gab es in Köln Zolleinnehmerinnen, von den Fischweibern, Pfandleiherinnen und Krämerinnen ganz zu schweigen.
Zu ihrer Verwunderung erholte sich der Vater nicht nur rasch von dem Hustenanfall, sondern sah sie mit einem Mal strahlend an.
»Eine Kaufmannslehre für die kleine Gräfin? Sidonia, das ist eine brillante Idee. Das gemeinsame Studieren von Büchern, das traute Beisammensein bis spät in den Abend, die Besuche bei Lieferanten. Oh ja, das ist brillant! Das …« Er hielt abrupt inne wie eine sich putzende Katze, die von einem huschenden Schatten abgelenkt wird. »Nur, was wird ihr Vater dazu sagen?«
Sidonia machte eine beschwichtigende Handbewegung. »Ich habe ihn schon vor Monaten in einem Brief um seine Zustimmung gebeten. Er hat zugesagt und sogar ein fürstliches Lehrgeld angeboten. Ihm ist alles recht, was Lunetta glücklich macht und ihr über den Schmerz der Trennung hinweghilft.«
Claas van Berck jubelte innerlich. Das kam einer Zustimmung zu seinen geheimsten Plänen gleich! »Ah, bah. Lehrgeld! Wer braucht das, und wer will von Geld reden, wo unsere Familien seit Jahren so innig verbunden sind? Lunettas Glück soll unser erstes Ziel sein.«
Sidonia starrte ihn verdutzt und mit wachsendem Misstrauen an. Ihr Vater lehnte Geld ab?
Van Berck fuhr unbeirrt fort. »Wir werden es Lunetta gleich morgen vorschlagen. Nur heute Abend lass uns feiern. Wo bleibt das Mädchen nur? Ich hätte gedacht, dieser Goswin sei ein findiger Mann. Ein Söldner kann sich vom Tod, aber doch nicht von ein bisschen Wind aufhalten lassen!«
4.
Nicht Lunetta schrie auf, sondern der Prediger. Das Mädchen öffnete zögernd die Augen. Vor ihr lag der Schmiedegeselle. Seine blutverschmierte Hand umklammerte einen Hammerstiel, er keuchte und bewegte ungläubig die Lippen.
»Vorzügliche Waffe, guter Hieb«, murmelte der Schellenknecht voll Anerkennung, »wenn auch nicht tödlich.« Seine Bewunderung galt eindeutig nicht dem gefällten Gesellen.
Lunettas Blick glitt über den hingestreckten Körper des Wanderhandwerkers und entdeckte die Beine eines anderen Mannes, der über dem Schmied stand. Sie steckten in glänzenden Reitstiefeln. Langsam tasteten sich ihre Augen nach oben, erkannten den dunklen Umhang des Aussätzigen, der vorhin in der
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