Das Geheimnis der toten Vögel
Schweiß perlte auf seiner Stirn, und die Kleider klebten am Körper. Fühlte sich sein Hals ein wenig rau an? Etwas fiebrig? War da nicht ein Widerstand, wenn er schluckte? Hoffentlich nur Einbildung – eine mentale Grippe. Aber dennoch, das Risiko war da. Mit einer Inkubationszeit von ein bis drei Tagen konnte es immer noch aufblühen. Was würde dann aus Malte und Nina werden? Das machte ihm schon so genug Sorgen. Jonatan versuchte, die Angst wegzuschieben. Doch die bohrte in seinen Eingeweiden, sobald er an die beiden und an die Zukunft dachte und daran, wie es jetzt werden würde, da er die Wahrheit über ihren Alkoholismus nicht mehr vertuschen konnte. Wenn er nur häufiger zu Hause gewesen wäre, dann wäre es vielleicht niemals so weit gekommen, dann wäre das Problem vielleicht nie aufgetaucht, dann hätte er das Verhängnis vielleicht rechtzeitig aufhalten können … wenn, wenn, wenn.
Die Umgebung des alten Sanatoriums verwischte die Zeitgrenzen. Vor einer Generation waren Menschen in Schweden an Tbc gestorben. Wenn die Wände dieses Sanatoriums reden könnten, dann würden sie von Verzweiflung und Kummer erzählen, aber auch von Tapferkeit, Galgenhumor und einer trotzigen Hoffnung. Das Leben verändert sich, und neue Perspektiven tun sich auf, wenn man dem Tod einmal ins Auge geschaut hat. Was ist wichtig, wenn man nur noch eine Woche zu leben hat?
Weiter kam Jonatan nicht mit seinen Gedankengängen, denn das Telefon verlangte wieder seine Aufmerksamkeit. Was würde er sagen, wenn wieder besorgte Eltern anriefen? Ob inzwischen eine Absperrung um die Schule errichtet worden war? Jonatan hätte sich am liebsten davongemacht, aber dann griff er doch nach dem Hörer und meldete sich so ruhig und beherrscht, wie er nur konnte. Jeder Patient hat das Recht darauf, mit Engagement behandelt zu werden, ganz egal, wie es einem selbst geht, hatte ein alter Kollege den jungen Medizinstudenten einst eingeprägt, und das saß immer noch so tief in ihm, als hätte er es erst gestern gehört.
»Hier ist Nina.« Schon an ihrer Artikulation merkte er, was los war, und seine Magenmuskulatur verhärtete sich in Abwehrstellung. »Malte ist nicht da. Ich weiß nicht, wo er ist, ist er vielleicht zu einem Freund gegangen?«
»Ich habe meine Mutter gebeten, ihn zu holen, und das war auch gut so, denn er war von der Schaukel gefallen und hatte Nasenbluten. Dann hat er versucht, dich zu wecken, aber du warst völlig weggetreten. Hast du überhaupt gemerkt, dass er rausgegangen ist? Mama sagt, die Tür hätte sperrangelweit offen gestanden.«
»Ist das ein Glück, dass du deine liebe Mama hast, die der kleinen Nina zeigen kann, wie man mit seinen Kindern umgeht. Beschuldige mich ruhig, eine schlechte Mutter zu sein, tu das nur, aber es ist deine Schuld. Deine verdammte Schuld, du scheinheiliges Arschloch. Ich wollte niemals Kinder, du wolltest es unbedingt, und dann … was war dann? Wer durfte verdammt noch mal zu Hause sitzen und sich um alles kümmern, während du rumgetourt bist?«
»Ich bin nicht rumgetourt. Ich habe meine Facharztausbildung absolviert.«
»So unglaublich schick und wichtig, wichtiger als mein Leben und meine Pläne. Nina wollte ja nur Kunst studieren und ein wenig spielen, etwas mit Farbe herumklecksen.«
»Du, darüber können wir reden, wenn es dir besser geht. Leg dich hin, und ruf mich später an, wenn du weißt, was du sagst.«
»Nimm zwei weiße Tabletten, und leg dich hin, ist das die Empfehlung des Doktors? Mein Mallehrer auf der Volkshochschule hat gesagt, aus mir könnte was werden. Er fand, ich hätte Talent. Der hat an mich geglaubt, das sage ich dir! Du verdammter Feigling! Er hat gesagt: Nina, du hast wirklich Talent. Du hast Taleeent! Hörst du das, du verdammter …«
Jonatan legte auf, wappnete sich und schob den Gedanken an Nina beiseite. Er dachte an Malte. Wenn es die Vogelgrippe war, dann sollte Malte nicht in der Ferienbetreuung sein. Da würde das Risiko einer Ansteckung groß sein, dachte er. Man musste das irgendwie anders lösen, obwohl die Tage, an denen Malte in der Ferienbetreuung war, die einzigen waren, an denen Jonatan sich sicherer fühlte und etwas Ruhe zum Arbeiten hatte.
12
»Auf Gotland befürchtet man einen Ausbruch der Vogelgrippe. Zwei Todesfälle könnten in Zusammenhang mit der Ansteckung stehen, und eine Reihe von Personen ist zur Beobachtung in das alte Sanatorium von Follingbo verbracht worden. Åsa
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