Das Geheimnis der toten Voegel
eine Hausapotheke. Er enthielt hustendämpfende Tabletten, Nasentropfen, Paracetamol, Aspirin, Tabletten gegen Reisekrankheit, Pflaster, Bandagen, eine Rolle Heftpflaster und eine angebrochene Flasche Alkohol. Soweit Maria sehen konnte, keine speziellen Mittel gegen Migräne.
Warum war es Sandra Hägg so wichtig gewesen herauszufinden, woher Hans Moberg seine Medikamentenlieferungen erhielt? Warum war das so wichtig, dass sie ihn zu sich nach Hause einlud, obwohl sie unter Migräne litt? Wenn sie überhaupt Migräne gehabt hatte, das hatte niemand bisher bestätigt. Hatte sie diese Nachricht überhaupt selbst verschickt?
Maria blätterte den Papierstapel neben Sandras Computer durch. Medizinische Fachartikel über Infektionskrankheiten und ein paar Artikel über Diebstahlschutzmarkierungen und die Codierung des neuen Passes, der bald gültig sein würde. Ein Artikel trug die Überschrift: »Du wirst dein eigener Schlüssel« und handelte davon, wie man Fingerabdrücke anstelle von Passierkarten verwenden konnte.
Maria öffnete die Balkontür und stellte sich in die frische Luft vom Meer. Sie nahm ein paar tiefe Atemzüge. Vom Balkon aus konnte sie die Windmühlen an den Klippen sehen, das alte gelbe Gefängnisgebäude, das Hafengebiet und weit im Süden Högklint als scharfen Kontrast gegen das graublaue Meer. Sie dachte an den Einbruch im Vigoris Health Center, der nicht angezeigt worden war. Warum war Sandra Hägg in die Klinik eingebrochen, und was hatte sie in der Plastiktüte von dort mitgenommen? Impfstoff? Warum und für wen? Erst als Sandra Häggs Nachbarin direkt neben ihr stand und sie begrüßte, merkte Maria, dass sie nicht allein war. Das weiße Haar der älteren Dame war frisch gewaschen und sah aus wie eine flaumige Pusteblume.
»Es scheint schönes Wetter zu geben.« Ingrid Svensson hielt sich die Hand über die Augen und lehnte sich über das Balkongeländer. »Mir ist noch etwas eingefallen. Diese Kinder, die Zuckerstangen verkauft haben. Haben Sie die gefunden? Wissen Sie, ich finde es völlig verantwortungslos von Eltern, ihre Kinder so spät am Abend herumlaufen zu lassen. Zu meiner Zeit nahm man um sechs Uhr ein gemeinsames Abendessen ein, und dann war es für die Kinder an der Zeit, ins Bett zu gehen.«
»Nein. Wir haben versucht, zu jedem Lehrer in Visby, der Drittklässler hat, Kontakt aufzunehmen. Doch die Schulen sind jetzt geschlossen, und wir haben noch nicht alle erreichen können. Einige von ihnen sind in Urlaub gefahren. Wissen Sie etwas von den Kindern?«
»Ja, ein Bekannter von Henriksson im ersten Stock, mit dem ich donnerstags immer Bingo spiele, meint, sie gingen in die Solbergaschule. Er kennt ihre Lehrerin, seit die ein kleines Mädchen war. Sie heißt Birgitta Lundström.« Ingrid Svensson lächelte zufrieden. Maria holte das Handy hervor und rief Hartman an. Für Hans Moberg könnte es absolut entscheidend sein, wenn die Kinder an jenem schicksalsschweren Abend noch jemand anders die Treppe hatten hochgehen sehen.
Immer noch in Gedanken darüber versunken, was Sandra Hägg bei dem Einbruch aus der Klinik mitgenommen haben könnte, kehrte Maria in die Wohnung zurück. Der Einbruch war gegen zweiundzwanzig Uhr geschehen. Um Mitternacht war sie nicht mehr am Leben gewesen. Warum hatte sie eine Fensterscheibe in der Patientenaufnahme eingeschlagen, wenn sie ebenso gut durch die Eingangstür hätte gehen können? Sie hätte ja nur ihre Passierkarte benutzen müssen. Die Eingangstür war bis zweiundzwanzig Uhr offen, von dort aus hätte sie nur den Flur zur Impfstation hinuntergehen müssen, wo auch der Pausenraum lag. Wenn sie entdeckt worden wäre, dann wäre es ein Leichtes für sie gewesen zu sagen, sie habe eine Zeitung oder ihre Essensdose vergessen. Wenn es nicht noch ein anderes Alarmsystem gab, von dem Sandra wusste. Könnte es so gewesen sein?
Maria ging in den Wohnungsflur und sah sich um. Sie stellte sich vor, sie wäre Sandra und stünde dort mit der Plastiktüte in der Hand. Sie suchte im Flur nach einem Ort, an dem die Plastiktüte versteckt werden könnte. In dem kleinen Schränkchen unter dem Flurspiegel befand sich eine Schublade. Aber das war zu einfach und zu nah am Ausgang. Sie ging weiter ins Wohnzimmer. Hatte Sandra vielleicht Angst gehabt, dass ihr doch jemand gefolgt sein könnte? Vielleicht hatte in diesem Moment der Mörder an der Tür geklingelt?
Oder es war ganz anders gewesen. Sie hatte darauf gewartet, dass jemand kommen würde, jemand, dem
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