Das Geheimnis der versteinerten Traeume
du sie losbekommen, aus schwindelnder Höhe runtergeschafft und drei Kilometer weit hierher geschleppt?«
Der Gefragte zuckte die Achseln. »Weiß ich nicht.«
»Die Antwort reicht mir nicht, Leo. Das da ist kein Handy in
einer Pute.« Sein Vater deutete auf den Kupfervogel zu seinen Füßen. »Du hast eine Straftat begangen. Die können dich wegen Hausfriedensbruch, schwerer Sachbeschädigung und Kirchenfrevel oder wie das heißt rankriegen. Mama und mir werden sie die Verletzung unserer Aufsichtspflicht vorwerfen. Bitte erkläre mir, was da passiert ist. Wieso stiehlst du eine Wetterfahne und versteckst sie zwischen meinen Projekten?«
Leo erzählte die Wahrheit. Das war bei seinem Vater immer das Beste.
Kommentarlos zog Emanouel darauf sein Handy aus der Tasche, drückte eine Taste und sprach das Wort: »Herzmuschel.« Hierauf stellte das Telefon eine Verbindung zu Severina Leonidas her. Von dem folgenden Gespräch bekam Leo nur die Hälfte mit.
»Schatz? … Ich komme gerade nach Hause, weil ich wichtige Unterlagen auf meinem Nachttisch hab liegen lassen, da erwische ich deinen Sohn dabei, wie er den Wetterhahn der Kreuzkirche in der Remise versteckt … Was? … Ja, ich weiß, er ist auch mein Sohn … Wie das passieren konnte?« Emanouel lachte kurz auf. »Na wie schon? Beim Schlafwandeln … Ja.… Ja … Nein! … Jetzt bleib bitte mal realistisch, Schatz. Wenn der Junge nicht in Hahnöfersand landen soll … Ich rede von der Jugendstrafanstalt. Von kriminellen Elementen, die so alt sind wie Leo. Wir müssen sofort etwas unternehmen, damit er nicht … Mit ›wir‹ meinte ich eigentlich dich. In der Firma brauchen sie mich heute für… Was? … Die Sandklaffmuschel kann warten, Severina. Es geht hier um unseren … Ach so … Na schön, dann kümmere ich mich eben darum. Bis später.« Er legte auf.
»Was hat Mama gesagt?«, fragte Leo kleinlaut.
Sein Vater verdreht die Augen. »Sie findet dich genial.«
D er Pastor der Kreuzkirche sah nicht begeistert aus. Die vor der Brust verschränkten Arme waren Vorboten drohenden Unheils. Vielleicht würde er kein himmlisches Feuer auf den jugendlichen Frevler herabrufen, schien aber fest entschlossen, ihn die ganze Härte irdischer Gerichtsbarkeit spüren zu lassen. Sein von Missmut umwölkter Blick starrte mal auf den Wetterhahn im Laderaum von Emanouel Leonidas’ Edelkombi, dann wieder in das zerknirschte Gesicht des Sünders. Die drei standen vor dem aus roten Backsteinen errichteten Gotteshaus, das der Schlafwandler in der vergangenen Nacht heimgesucht hatte.
»Jetzt geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß und drücken Sie ein Auge zu«, sagte Leos Vater in flehendem Ton. »Für den Schaden komme ich natürlich auf.«
Figürlich ähnelten sich die beiden Männer. Pastor Hoogenkamp war geringfügig größer als Emanouel und etwas rundlicher. Seine vorstehenden, grüngrauen Augen hatten die Farbe von Gletschereis. Er strich sich eine graue Strähne aus dem Gesicht, die ihm der Wind von der kahlen Stelle am Hinterkopf gerissen hatte.
»Sind Sie katholisch, Herr Leonidas?«, fragte er kühl.
»Griechisch-orthodox.«
»Dann sollten Sie trotzdem das Prinzip der Buße kennen. Man macht eine Sünde nicht dadurch ungeschehen, dass wer auch immer ›ein Auge zudrückt‹. Außerdem habe ich den Vorfall schon der Polizei gemeldet.«
Emanouel erschrak. »So schnell? Laufen Sie täglich nach dem Aufstehen um Ihre Kirche, um Spuren von Vandalismus zu finden?«
»Selbstverständlich. Gehen Sie etwa nicht jeden Morgen um Ihr Auto und schauen nach Kratzern?«
»Nein.«
»Wahrscheinlich, weil Sie Südländer sind. Bei uns ist Kirchenschändung ein ernstes Vergehen.«
»Jetzt bleiben Sie bitte mal auf dem Teppich, Herr Pastor. Mein Sohn schändet keine Kirchen.«
»Das sagen die Eltern immer.«
»Außerdem tut Leo die Sache leid. Meinen Sie, es ist ihm leichtgefallen, sich bei Ihnen zu entschuldigen, obwohl er die Wetterfahne nicht absichtlich vom Dach geholt hat? Er ist …«
»… ein Schlafwandler«, unterbrach Hoogenkamp mit wegwerfender Geste den bettelnden Vater. »Das sagten Sie schon. Offen gestanden empfinde ich Ihre Geschichte als Beleidigung meines Intellekts, Herr Leonidas. Anstatt wenigstens zuzugeben, dass Ihr Sohn auf die schiefe Bahn geraten ist, versuchen Sie mich für dumm zu verkaufen. Ein Mitglied meiner Gemeinde schreibt für das Hamburger Abendblatt . Er weiß bereits über den Vorfall Bescheid und wird darüber berichten. Nach
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