Das Geheimnis Des Frühlings
er nicht mit mir.«
Ich musterte ihn fragend, und er lächelte sein sonniges Lächeln; war wieder der alte Bruder Guido, in dessen Augen das Licht des Glaubens leuchtete.
»Dann wirst du zurückgehen, wenn das alles hier vorüber ist?« Ich musste wissen, was nach dieser Nacht sein würde; musste wissen, ob es eine Zeit geben würde, da ich ihn in Santa Croce besuchen konnte. Ich war bereit, mich mit der Gewissheit zufriedenzugeben, dass er am Leben war.
»Zurück ins Kloster? Nein.«
»Aber...«
Er nahm mein Gesicht in seine Hände. »Ich könnte niemals dorthin zurückgehen. Nicht, weil ich Gott nicht liebe, sondern weil ich dich liebe.« Er küsste mich lange, seine Lippen wanderten über meine Wange zu meinem Ohr. »Liebe ist, wenn man einen anderen Menschen so sehr mag, dass man ein anderes Wort dafür finden muss«, flüsterte er. Im nächsten Moment war er verschwunden.
Freude und Kummer rangen in mir miteinander; Freude darüber, dass er mich liebte, und Kummer, weil ich das sichere Gefühl hatte, ihn zum letzten Mal berührt zu haben. Benommen stolperte ich mit dem Dogen im Schlepptau auf den Leuchtturm zu. Die Tür wurde von zwei Posten mit dem Kreuz von Genua auf der Brust bewacht. Auf ein Nicken des Dogen hin gaben sie uns den Weg frei, ohne Fragen zu stellen. Meine Haut begann vor Unbehagen zu prickeln; Bilder drohenden Unheils zogen an mir vorbei, als ich die Treppe hinaufstieg - die Ärmel des einen Wachpostens waren so lang gewesen, dass sie ihm über die Handrücken fielen, die des anderen so kurz,
dass ein Stück weißen Handgelenks zu sehen war. Irgendetwas stimmte hier nicht.
Sowie wir den Turm betreten hatten, ebbten das Heulen des Windes und das Tosen der Wellen ab - die dicken Mauern schirmten uns vor den Geräuschen des Unwetters ab. Außer unseren Atemzügen und dem Klirren der Rüstung des Dogen war kein Geräusch zu hören. Nach der letzten Biegung der Treppe konnte ich Kerzenlicht sehen, das sich über die Stufen ergoss. Ich wusste, wen wir in der Kammer vorfinden würden; wer es nicht über sich gebracht hatte, der Stadt fernzubleiben, wer vom Fenster aus zusehen musste, wie sich sein großer Traum erfüllte.
Wir schritten in den quadratischen Raum, leer bis auf eine am Fenster stehende, in prächtigen violetten Samt und Goldbrokat gehüllte Gestalt, die über das Meer hinwegblickte. Der Mann drehte sich um, als er unsere Schritte hörte.
Lorenzo de’ Medici.
6
»Lorenzo?«
»Battista, mein Guter.« Beide Männer verbargen ihren Schrecken und ihre Überraschung rasch hinter ihren höfischen Masken, die in vieler Hinsicht genauso undurchdringlich waren wie die meiner Mutter.
Der jüngere Mann ergriff als Erster das Wort. »Was tut Ihr hier?«
Die grauen Medici-Augen blickten wachsam. »Mein... äh, mein Schiff ist in Seenot geraten. Ich habe hier Zuflucht gesucht, um den Sturm abzuwarten, bis ich mich zu Eurem Palast durchschlagen und Euch bitten kann, mich vorübergehend bei Euch aufzunehmen.«
»So?« Der Doge drückte höfliches Erstaunen aus. »Ja, die Frühlingsfluten sind manchmal etwas unberechenbar.«
Die beiden Männer musterten einander wie Straßenkater, die nicht wussten, ob sie schnurren oder zuschlagen sollten.
»Wo wollt Ihr denn hin?«
»Nach Pisa. Dort findet doch bald eine Hochzeit statt, nicht wahr, meine Liebe?« Ich trat aus dem Schatten der Tür heraus. »Und die möchte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen, mein Kind, da Ihr so freundlich wart, Eurerseits die meines Neffen zu besuchen.«
Ich hielt seinem Blick unverwandt stand und sah, dass er alles wusste. Ich hatte keine Ahnung, was ich darauf erwidern sollte, aber zum Glück kam mir der Doge zu Hilfe.
»Eine merkwürdige Idee, von Florenz nach Pisa auf dem Seeweg reisen zu wollen.« Seine Stimme klang jetzt gefährlich sanft. »Ihr seid beklagenswert weit von Eurem Kurs abgekommen, Signore.«
Jetzt suchte Lorenzo verzweifelt nach einer Antwort.
Der Doge kam ihm zuvor. »Verzeiht, aber bevor wir dieses interessante Gespräch fortsetzen, muss ich meinem Gast in einer kleinen Angelegenheit behilflich sein. Vielleicht wartet Ihr so lange hier und verfolgt das Drama dieses Sturms, das Euch ja außerordentlich zu faszinieren scheint.«
Lorenzo verstand. »Oh, ich möchte Euch wirklich nicht länger aufhalten. Der Wind scheint sich zu legen, und ich denke, ich werde...«
»Ganz im Gegenteil. Der Sturm ist bedrohlicher denn je; ich kann unmöglich zulassen, dass Ihr diesen sicheren
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