Das Geheimnis des Himmels
regelmäßig zu Beginn seiner Stunden mit Rätselaufgaben zu überraschen, wie er sagte, um unser Denken geschmeidig zu machen. Es waren viele lehrreiche Rätsel dabei. Einmal zeigte er uns, wie man mit einfachen Mitteln einen Text so verändern kann, dass er nur von denjenigen, die den rechten Schlüssel besitzen, gelesen werden kann. Das war eine sehr praktische Stunde! Einige meiner Mitschülerinnen fanden übrigens schnell heraus, dass sie auf diese Weise ihre Abenteuer einander unbehelligt mitteilen konnten, ohne dass es bemerkt wurde. Was mich aber wirklich verblüffte, war seine Demonstration der Verschlüsselung längerer Texte, auch wenn diese auf Latein verfasst worden waren.“
„Ihr Frauen wisst ohnehin immer alles auf seine Nützlichkeit hin zu untersuchen“, warf Bernhardi schmunzelnd ein. „Ich ahne, worauf du hinauswillst, Elisabeth … Lebt dieser Praetorius denn noch?“
„Das weiß ich leider nicht. Wenn, dann müsste er schon hochbetagt sein, an die achtzig Jahre dürfte er schon auf dieser Erden wandeln.“
„So bitte ich dich, nach … ja, wohin eigentlich, zu schreiben?“
„Damals wohnte er in Magdeburg, nicht weit von unserem Stift entfernt.“
„Aha. Wärest du denn so lieb, in Erfahrung zu bringen, ob Meister Praetorius noch unter den Lebenden weilt? Hoffen wir, dass er auf seine alten Tage nicht noch den Wanderstab in die Hand genommen hat.“
3
Der Tumult hinter den geschlossenen Türen war nicht zu überhören. Auf dem Gang, der zu den Sälen führte, in denen die Vorlesungen und Übungen abgehalten wurden, stutzte der Rektor der Universität, Magister Reinhardus. Plötzlich wurde dicht neben ihm eine Tür aufgerissen. Dr. Wenzel stürmte mit hochrotem Kopf heraus, dabei hätte er fast den völlig überraschten Rektor umgerannt. Aus der offen stehenden Tür drangen lebhaftes Stimmengewirr, einzelne Zwischenrufe und Gelächter. Es schien, als würde die Situation da drinnen eskalieren.
„Aber werter Herr Kollege, was ist denn geschehen? Ihr seid ja völlig außer Euch! Und was soll der Tumult hier bedeuten? Aufruhr?“
„Das ist eine Ungeheuerlichkeit! Man macht sich über Aristoteles und die scholastischen Meister lustig! Während ich überMeister Gabriel Biel las und aus seinem Collectorium über die natürlichen Kräfte zum Guten dozierte, wagte man es, mir zu widersprechen! Gerade an der Stelle, wo erklärt wird, in welcher Weise der Wille frei ist, gute und verdienstliche Werke zu tun, die zur Seligkeit führen, eine Lehre, die mich immer mit Stolz erfüllt hat und die ich als Freiheit zur Suche nach dem Tun des Guten ausgelegt habe, gerade an dieser Stelle erschollen Zwischenrufe! Als ich denjenigen, der am lautesten dagegen protestierte, aufforderte, sich zu erkennen zu geben, standen gleich mehrere auf und schrien mich nieder!“
Dr. Wenzel war völlig außer Atem. Ob vor Wut oder wegen der Hitze des Gefechtes – das war für Reinhardus nicht zu erkennen.
„Dann ist es also wahr …“, entfuhr es dem Rektor.
„Ja, wir werden von den Lutherischen unterwandert. Und zwar nicht mehr im Stillen, sondern ganz offen. Das könnt Ihr doch nicht zulassen!“
„Das werde ich auch nicht zulassen. Ich wollte es nicht ernst nehmen, aber anscheinend war das ein Fehler.“
„Was gedenkt Ihr jetzt zu tun?“
„Jetzt ist schnelles Handeln geboten. Seid Ihr in der Lage, wieder in den Hörsaal zu gehen und die Aufrührer noch eine Zeit lang zu beschäftigen?“
Dr. Wenzel zögerte.
„Das soll ich mir weiter bieten lassen?“, fragte er, sich wieder stark verfärbend.
„Nur zum Schein. Ich werde unterdessen Hilfe von der herzoglichen Wache herbeiholen. Wie Ihr wisst, bin ich als Rektor dazu befugt. Sorgt nur dafür, dass kein Student so lange den Saal verlässt. Da Ihr wisst, wozu es dient, werdet Ihr die Situation leichter überstehen. Am besten, Ihr provoziert zurück. Je übler der Zustand im Saal, desto leichter wird sich meine Maßnahme rechtfertigen lassen.“
Nachdenklich nickte Wenzel und trat langsam den Weg zurück in den Hörsaal an, während Reinhardus, der kurzen Prozess zu machen gedachte, zur herzoglichen Wache eilte.
Der Lärm im Hörsaal hatte sich nicht gelegt. Als Dr. Wenzel ihn wieder betrat, wogte im Raum eine handfeste Diskussion. Es war ersichtlich, dass auch Anhänger der herkömmlichen Lehre, oder zumindest die, die sich keine Störung des Unterrichts gefallen lassen wollten, das Wort ergriffen hatten.
Alle akademische Tugend schien wie
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