Das Geheimnis des Himmels
1
Jäh durchbrach das Zerbersten der Scheibe die unberührte Stille der Nacht.
Magister Leonhard Bernhardi zuckte erschrocken zusammen. Aber seine Erstarrung währte nur kurz, schnell raffte er die vor ihm auf einem Schreibpult liegenden Papiere zusammen und suchte Deckung hinter einer breiten steinernen Säule.
Hatte das ihm gegolten?
Im Schreibsaal der Universität war es wieder still geworden, nur das Flackern des Kerzenlichtes erzeugte bewegte Schatten an den Wänden und am Boden.
Von draußen drangen nun durch die zerborstene Scheibe die Unbilden des Wetters in den langen Saal. Die frische Luft brachte die Flamme der Kerze nach kurzen unruhigen Zuckungen zum Erlöschen. Nur noch der heulende Wind vermischt mit prasselndem Regen war zu hören.
Bernhardi beruhigte sich langsam und war bald schon wieder in der Lage, klare Gedanken zu fassen. Seine rechte Hand ruhte auf dem Knauf des Langdolches, den er, wie es beim Lehr-personal üblich war, immer bei sich trug.
Er wartete.
Als er außer dem windgepeitschten Regen nichts vernahm, versuchte er vorsichtig, von seinem Versteck aus den Saal zu überblicken. Seine Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt. Allein der Vollmond warf etwas Licht in den Raum.
Nichts geschah.
Trotzdem hielt Bernhardi es für ratsam, den Schreibsaal schnellstmöglich zu verlassen. Er schätzte den Weg bis zur Türab, den er ohne weitere Deckung durchqueren musste. Dann schlich er so vorsichtig und leise, wie er nur konnte, zur schweren Eichentür und drückte den mächtigen Riegel herunter. Mit leisem Knarren gab die Tür den Weg frei, aber Bernhardi glaubte, sich die Ohren zuhalten zu müssen. Unbehelligt trat er in den Vorraum.
Gerade hatte er sich etwas beruhigt, da begann sein Herz erneut wie wild zu pochen. Denn nun hörte er in der Ferne leise Schritte, die sich auf ihn zu bewegten.
Bernhardi fühlte sich mit seinen fünfzig Jahren eigentlich zu alt für derartige Abenteuer, aber es blieb ihm keine andere Wahl. Er überlegte nur kurz, dann zog er seinen Langdolch und suchte hinter einem mächtigen Regal Schutz.
Für einen Einbrecher verhält sich unser Gast aber sehr ungeschickt, dachte Bernhardi noch, als die Schritte plötzlich laut wurden und die Tür auf der anderen Seite des Vorraumes polternd aufgestoßen wurde. Erleichtert nahm er zur Kenntnis, dass sein Diener, Johannes Treber – von allen Hannes genannt – mit einer Fackel in der Hand den Raum betreten hatte.
Bernhardi verstaute seinen Dolch wieder, trat hinter dem Regal hervor und ging Hannes entgegen. Dieser schien über den komischen Aufzug seines Herrn nicht einmal verwundert. Der Magister konnte sogar wieder schmunzeln. Gewöhnlich bedeutete das Auftauchen seines Dieners, dass seine Herrin, wie Bernhardi liebevoll seine Gattin Elisabeth nannte, eine klare Auskunft über sein Verbleiben erwartete. Und so kam es auch.
„Einen gesegneten Abend, Meister!“ Hannes trat auf Bernhardi zu.
„Guten Abend, Hannes. Na, mit welchen Befehlen hat die Meisterin dich zu mir gesandt?“
Hannes war zwar geistig nicht der Regsamste, dafür aber treuund loyal. Nach so vielen Dienstjahren bei den Bernhardis verstand er die eingeschliffenen Sprachspiele der gebildeten Familie und deren unterschwellige Neckereien. Manchmal gelang es ihm sogar, ein wenig auf dieser Ebene mitzuspielen, nicht ohne gehörigen Respekt vor seinem Herrn.
„Die Meisterin lässt anfragen, ob mit Eurem Erscheinen zu Hause noch zu rechnen ist, denn es ist schon recht spät. Sie lässt ausrichten, dass sie Euch in einer wichtigen politischen Angelegenheit zu sprechen wünscht. Sollte eine schleunigste Rückkehr ausgeschlossen sein, würde sie die Audienz auf morgen verlegen … Allerdings hättet Ihr Euch dann ihrer knappen Zeit zu fügen!“
Meister Bernhardi schmunzelte wieder. Das war Elisabeth, seine kluge Frau. Sie wusste genau, wie sie ihn ansprechen musste, damit er wieder ganz von ihr eingenommen wurde. Mit einer gewählten Sprache hatte sie ohnehin keine Probleme, da sie eine intensive Ausbildung in einer bedeutenden Klosterschule absolviert hatte. Wenn sie es arg trieb, konnte sie ihm sogar eine Botschaft in Latein zukommen lassen.
„Danke, Hannes, für deinen Botendienst. Sag deiner Herrin, dass ich nur noch meine Papiere ordne und in kürzester Zeit zu Diensten sein werde!“
Auf dem Gesicht von Hannes leuchtete es kurz auf. Er würde den Spaß mitmachen und diese Botschaft des Meisters gleich mit den richtigen Worten
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