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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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hermetisch umschloss. Die Kinder quengelten und bettelten in einem fort, auch sie würden den Mann gerne einmal anfassen. Sie fielen zu Boden, richteten sich auf, spuckten geräuschvoll und weit wie Erwachsene und rannten hinter der Meute her.
    Nachdem zwei Jahre lang Dürre geherrscht hatte, regnete es an diesem Märztag 1942 wie schon seit über einer Woche ununterbrochen. Erleichtert konnten die Bewohner der Stadt nun wieder tief schlafen. Schlimme Sorgen hatten wie ein Alp auf Damaskus gelegen. Schon im September des ersten Jahres der Dürre waren die Unheilverkünder, die Steppenflughühner, gekommen, sie suchten in riesigen SchwärmenWasser und Nahrung in den Gärten der grünen Oase Damaskus. Man wusste seit Urzeiten, wenn dieser taubengroße, sandfarben gesprenkelte Steppenvogel erscheint, wird es Dürre geben. So war es auch in jenem Herbst. So war es immer. Die Bauern hassten den Vogel.
    Sobald das erste Steppenflughuhn gesichtet wurde, erhöhten die Großhändler von Weizen, Linsen, Kichererbsen, Zucker und Bohnen die Preise.
    In den Moscheen beteten die Imame seit Dezember mit Hunderten von Kindern und Jugendlichen, die, von Lehrern und Erziehern begleitet, scharenweise alle Gebetshäuser aufsuchten.
    Der Himmel schien alle Wolken verschluckt zu haben. Sein Blau war staubig. Die Saat harrte voller Sehnsucht nach Wasser in der trockenen Erde aus, und was kurz keimte, erstarb – dünn wie Kinderhaare – in der sommerlichen Hitze, die bis Ende Oktober anhielt. Bauern aus den umliegenden Dörfern nahmen in Damaskus für ein Stück Brot jede Arbeit an und waren dankbar dafür, denn sie wussten, bald würden die noch hungrigeren Bauern aus dem trockenen Süden kommen, die mit noch weniger Lohn zufrieden wären.
    Scheich Rami Arabi, Nuras Vater, war seit Oktober völlig erschöpft, denn neben den offiziellen fünf Gebeten in seiner kleinen Moschee musste er Männerkreise leiten, die bis zur Morgendämmerung religiöse Lieder sangen, um Gott milde zu stimmen und Regen zu erbitten. Und auch am Tag kam er nicht zur Ruhe, denn zwischen den offiziellen Gebetszeiten rückten die Massen der Schüler an, mit denen er traurige Lieder anstimmen musste, die Gottes Herz erweichen sollten. Es waren weinerliche Lieder, die Scheich Rami Arabi nicht mochte, weil sie von Aberglauben nur so trieften. Der Aberglaube beherrschte die Menschen wie ein Zauber. Es waren keine ungebildeten, sondern angesehene Männer, die glaubten, die Steinsäulen der benachbarten Moschee würden beim Gebet Scheich Hussein Kiftaros vor Rührung weinen. Scheich Hussein war ein Halbanalphabet mit großem Turban und langem Bart.
    Rami Arabi wusste, dass Säulen niemals weinen, sondern durch die Kälte Wassertropfen aus dem Dampf kondensieren, den die Betenden ausatmen. Aber das durfte er nicht sagen. Den Aberglauben müsse ererdulden, damit die Analphabeten ihren Glauben nicht verlören, sagte er seiner Frau.
    Am ersten März fiel der erste Tropfen Wasser. Ein Junge kam in die Moschee gerannt, während Hunderte von Kindern sangen. Er schrie so schrill, dass alle verstummten. Der Junge erschrak, als es so still wurde, dann aber kamen die Worte schüchtern und leise aus seinem Mund: »Es regnet«, sagte er. Eine Woge der Erleichterung ging durch die Moschee und man hörte aus allen Ecken den Dank an Gott: Allahu Akbar . Und als hätten auch ihre Augen den Segen Gottes erfahren, weinten viele Erwachsene vor Rührung.
    Draußen regnete es, anfangs zögerlich und dann in Strömen. Die staubige Erde hüpfte vor Freude, dann sättigte sie sich und wurde ruhig und dunkel. Innerhalb weniger Tage glänzte das Pflaster der Straßen von Damaskus vom Staub befreit, und die gelben Felder außerhalb der Stadt bekamen einen zarten, hellgrünen Mantel.
    Die Armen atmeten erleichtert auf und die Bauern machten sich auf den Weg zurück zu ihren Dörfern und zu ihren Frauen.
    Scheich Rami aber regte sich auf, denn nun war die Moschee wie leergefegt. Abgesehen von ein paar alten Männern kam niemand mehr zum Gebet. »Sie behandeln Gott wie einen Restaurantdiener. Sie bestellen bei ihm Regen, und sobald er ihnen das Bestellte bringt, zeigen sie ihm die kalte Schulter«, sagte er.
     
    Der Regen wurde weniger und ein warmer Wind fegte die feinen Tropfen in die Gesichter der Jugendlichen, die nun ihren Tanz mit dem Mann in die Mitte der Straße verlegten. Sie schlossen ihre Arme um ihn und drehten ihn in ihrer Mitte, und dann flog sein Hemd über die Köpfe, und als wäre es

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