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Das Geheimnis Des Kalligraphen

Das Geheimnis Des Kalligraphen

Titel: Das Geheimnis Des Kalligraphen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafik Schami
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eine Schlange oder eine Spinne, traten die Kleineren im äußersten Kreis der Tanzenden erregt auf das Hemd, zerbissen und zerrissen es in Fetzen.
    Der Mann hörte auf, Widerstand zu leisten, weil ihn die vielen Ohrfeigen verwirrten. Seine Lippen bewegten sich, aber er brachte keinen Ton heraus. Irgendwann flog seine dicke Brille durch die Luft und landete in einer Pfütze am Bürgersteig.
    Einer der Jugendlichen war schon heiser vor Aufregung. Er sang inzwischenkeine Reime mehr, sondern aneinandergereihte Schimpfwörter. Die Jugendlichen skandierten wie berauscht und streckten ihre Hände gen Himmel: »Gott hat uns erhört.«
    Der Mann schien niemanden zu sehen, während sein Blick auf der Suche nach Halt umherirrte. Für einen Augenblick starrte er Nura an. Sie war gerade sechs oder sieben und stand vor dem Regen geschützt unter der großen, bunten Markise des Süßigkeitenladens am Eingang ihrer Gasse. Sie wollte gerade anfangen, den roten Lutscher zu genießen, den sie für einen Piaster bei Elias geholt hatte. Aber die Szene vor ihr nahm sie gefangen. Jetzt zerrissen die Jugendlichen die Hose des Mannes, und keiner der Passanten half ihm. Er fiel zu Boden. Sein Gesicht war starr und blass, als hätte er bereits eine Ahnung von dem, was noch kommen sollte. Die Tritte, die ihm die Tanzenden versetzten, schien er nicht zu spüren. Er schimpfte nicht und flehte nicht, sondern tastete zwischen den dünnen Beinen der Jugendlichen den Boden ab, als ob er seine Brille suchen würde.
    »In der Pfütze«, sprach Nura, als wollte sie ihm helfen.
    Als ein älterer Herr im grauen Kittel der Angestellten zu ihm gehen wollte, wurde er auf dem Bürgersteig von einem Mann unsanft aufgehalten, der elegante traditionelle Kleider trug: nach hinten offene Schuhe, weite schwarze Hosen, weißes Hemd, bunte Weste und einen roten Schal aus Seide um den Bauch. Über seinen Schultern lag das gefaltete, schwarzweiß gemusterte Kufiya , das arabische Männerkopftuch. Unter dem Arm trug er ein verziertes Bambusrohr. Der dreißigjährige muskulöse Mann war glatt rasiert und hatte einen großen, mit Bartwichse gepflegten schwarzen Schnurrbart. Er war ein bekannter Schlägertyp. Man nannte solche Damaszener Männer Kabadai , ein türkisches Wort, das so viel bedeutet wie Raufbold. Das waren kräftige und furchtlose Männer, die oft Streit suchten und davon lebten, für Wohlhabende mit sauberen Händen schmutzige Aufträge zu erledigen, wie etwa jemanden zu erpressen oder zu demütigen. Der Kabadai schien Gefallen an der Tat der Jugendlichen gefunden zu haben. »Lass den Kindern ihren Spaß mit diesem Ungläubigen, der ihnen das Brot vom Mund raubt«, rief er wie ein Erzieher, packte den Mann im grauen Kittel mit der linken Hand am Hals und schlug ihm mit demStock lachend auf den Hintern, während er ihn ins Geschäft zurückbeförderte. Die umstehenden Männer und Frauen lachten über den Angestellten, der wie ein Schüler zu flehen anfing.
    Nun lag der vermeintliche Räuber zusammengekauert und nackt auf der Straße und weinte. Die Jugendlichen zogen davon, immer noch im Regen singend und tanzend. Ein kleiner, blasser Junge mit schmalem, vernarbtem Gesicht löste sich von der Meute, kehrte zurück und versetzte dem Liegenden einen letzten Tritt in den Rücken. Jauchzend und mit ausgebreiteten Armen ein Flugzeug nachahmend, rannte er zu seinen Kameraden zurück.
    »Nura, geh nach Hause. Das ist nichts für Mädchen«, hörte sie Elias’ sanfte Stimme, der das Ganze vom Fenster seines Ladens aus beobachtet hatte.
    Nura zuckte zusammen, aber sie ging nicht. Sie beobachtete, wie der nackte Mann sich langsam aufsetzte, um sich schaute, einen Fetzen seiner dunklen Hose heranzog und damit sein Geschlecht bedeckte. Ein Bettler las die Brille auf, die trotz des weiten Wurfs unversehrt geblieben war, und brachte sie dem Nackten. Der Mann setzte sie auf, und ohne den Bettler weiter zu beachten, lief er in sein Geschäft.
    Als Nura ihrer Mutter beim Kaffee im Wohnzimmer atemlos von dem Vorfall erzählte, blieb diese ungerührt. Die dicke Nachbarin Badia, die täglich zu Besuch kam, stellte die Mokkatasse auf den kleinen Tisch und lachte laut auf.
    »Geschieht dem herzlosen Kreuzanbeter recht. Das hat er davon, die Preise zu erhöhen«, zischte die Mutter. Nura erschrak.
    Und die Nachbarin erzählte belustigt, ihr Mann habe berichtet, in der Nähe der Omaijaden-Moschee hätten Jugendliche einen jüdischen Händler nackt bis zur Geraden Straße

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