Das Geheimnis des Roten Ritters
Johanna ihn. Sie senkte die Stimme, was in dem Lärm der vollen Schenke nicht nötig
war. »Wir nehmen noch ein paar Münzen und kaufen uns Pferde«,flüsterte sie. »Der rote Reiter wird uns sogar dankbar sein. Wie sollen wir ihn denn sonst einholen?«
Hagen legte den Kopf schief und sah Johanna wortlos an. Himmel, was würde Ritter Karl sagen, wenn er von ihrem Abenteuer erfuhr?!
Womöglich würde er sie eine Nacht lang im Burgverlies einsperren, weil sie ohne Erlaubnis weggelaufen waren … Aber vielleicht wäre er ja auch stolz auf seinen mutigen und tatkräftigen Sohn?
Für einen Moment zögerte Hagen, doch dann nickte er. Mit Pferden und einem Sack voll Gold nach Mainz! Er spürte ein Ziehen
im Magen. Doch jetzt war es kein Hunger mehr. Es war die Vorahnung, dass sie immer tiefer und tiefer in eine ganz unglaubliche
Sache verstrickt wurden.
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Auf nach Mainz!
»Ich hätte nie gedacht, dass das so einfach geht«, sagte Hagen, als sie tatsächlich auf zwei ordentlichen Pferden das Dorf
verließen. »Das war ja ein Kinderspiel.«
»Klar, weil heute unser Glückstag ist!« Johanna jubelte. Ihr Plan hatte wirklich geklappt! Und zwar problemloser, als sie
erwartet hatten.
Der Pferdehändler im Dorf hatte ihnen bereitwillig die Tiere verkauft, ohne nach der Herkunft der Goldstücke zu fragen. Durch
die Sperrung der Hochstraße waren ihm an diesem Tag die Reisenden ausgeblieben. Und da er sich eigentlich ein gutes Geschäft
ausgerechnet hatte, weil sich auf dem holperigen Weg immer mal ein Pferd das Bein brach, freute er sich über jeden Kunden.
Auch wenn es zwei Kinder waren.
Hagen hielt sich wacker auf dem schaukelnden Pferderücken. Obwohl er nicht so viel Übung wie ein Knappe hatte, ritt er gerne,
weil er Pferde nun einmal liebte.
Johanna hingegen war das Reiten nicht gewohnt. Nur ab und zu war sie auf dem für Frauen gefertigten hohen Sattel gesessen,
um mit dem Vater zur Messe zu reiten.
Mädchen lernten Spinnen, Sticken und Weben auf der Burg; das Reiten, Jagen und Kämpfen war natürlich den Jungen vorbehalten.
Doch sie war drahtig und kräftig. Und vor allem hatte sie einen festen Willen, was das Wichtigste ist, wenn man ein fremdes
Pferd lenken will. Schon bald begannen ihr die Schenkel und der Rücken zu schmerzen, aber sie hielt durch. Ihre Stute trabte
brav hinter dem Schimmel von Hagen her.
Je näher sie Mainz kamen, desto voller wurde die Straße. Vor allem Händler, Spielleute und jede Menge neugieriges Volk waren
unterwegs, aber auch Bettler und einfache Wandermönche. Ehrfürchtig machten sie den Rittern mit ihrem Gefolge und den Kirchenfürsten
Platz, die mit großem Trara des Weges kamen.
Es war kurz vor Pfingsten, einem der höchsten christlichen Feiertage. Die kirchlichen Würdenträger zeigten an solchen Tagen
besonders gerne, dass nichts im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation passierte, ohne dass sie dabei waren.Und bei so einem Fest konnte der Kaiser natürlich erst recht nicht auf sie verzichten!
Johanna hielt ihre Stute an. Da waren in der Ferne ja schon die Türme von Mainz zu erkennen. Rheinabwärts wie rheinaufwärts
schoben sich Lastkähne auf die Stadt zu, die so voll mit Weinfässern beladen waren, dass sie zu versinken drohten.
»Sieh nur, Hagen! Hast du so was schon gesehen?« Johanna fiel fast vom Pferd, weil sie den Hals in alle Richtungen reckte,
um nichts zu verpassen.
Jemand schlug ihrer Stute auf die Flanke und trieb sie weiter.
»Zur Zeltstadt … zur Zeltstadt auf der Maaraue!« Ausrufer versuchten den Strom der Besucher zu lenken.
Mainz war mit seinen 10 000 Einwohnern eine recht große Stadt. Trotzdem war sie längst nicht in der Lage, all die Gäste, die anlässlich des Festes erwartet
wurden, zu beherbergen. Es war schon in normalen Zeiten zu eng und zu voll innerhalb des Ringes der Stadtmauer.
Und so hatte der Kaiser auf einer Insel nahe der anderen Rheinseite eine gewaltige Zeltstadt aufbauen lassen. Kein Edelmann,
der ihm zu Ehren gekommen war, sollte abgewiesen werden, weil er keineHerberge fand. Friedrich der Erste, der glanzvollste aller glanzvollen Staufer-Kaiser, war auf der Höhe seiner Macht. Die
aufmüpfigen italienischen Städte, die ihm wegen seines roten Bartes den Beinamen Barbarossa gegeben hatten, waren besiegt;
sein frecher Vetter Heinrich der Löwe in seine Schranken gewiesen. Jeder im Deutschen Reich musste ihn als den einzigen, wahren
Herrscher anerkennen. Dass
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