Das Geheimnis des Scriptors
hätte Claudius Laeta als oberster Korrespondenzsekretär davon unterrichtet werden müssen – der Tagesanzeiger war das offizielle Sprachrohr der Regierung.
Ja, als der Sklave in meinem Büro erschien und so geheimnisvoll tat, kam mir die köstliche Idee, dass die Scriptoren des Anzeigers versuchen könnten, Laeta eins reinzuwürgen.
Nur eines hätte mich noch glücklicher gemacht, als etwas hinter Laetas Rücken zu tun – Anacrites, dem Oberspion, eins über die Rübe zu geben. Diese glorreiche Hoffnung schien eine Möglichkeit zu sein. Wenn beim Tagesanzeiger etwas faul war, dann hätte Anacrites genau wie Laeta davon erfahren müssen. Seine Rolle bestand darin, den Kaiser zu beschützen, und der Anzeiger war heutzutage dazu bestimmt, den Namen des Kaisers erstrahlen zu lassen.
Anacrites weilte in seiner Villa an der Bucht von Neapolis. Das hatte er meiner Mutter erzählt, deren Untermieter er zeitweise gewesen war, und sie hatte es an mich weitergetratscht, damit ich neidisch auf seinen Wohlstand würde. Scheiß auf seinen Wohlstand. Anacrites machte mich allein schon dadurch wütend, dass er mit Mama sprach, und das wusste er. Doch anscheinend wusste er nicht, dass die Scriptoren, die den Anzeiger herausbrachten, um die Hilfe eines Experten baten. Er war nicht da, also waren sie zu mir gekommen. Das gefiel mir.
Zunächst wurde mir von dem Boten nur mitgeteilt, es gebe ein Problem mit einem Angestellten. Trotzdem packte mich die Neugier. Ich teilte dem kleinen Sklaven mit, dass ich gerne helfen und am selben Nachmittag beim Anzeiger vorbeikommen würde.
In Rom hatte ich ein Büro in meinem eigenen Haus am Tiberufer, direkt unter dem steilen Hang des Aventins. Zu dieser Zeit meiner Privatermittlertätigkeit besaß ich nominell zwei jüngere Assistenten, Helenas Brüder Aulus und Quintus. Beide waren anderweitig beschäftigt, und deswegen übernahm ich die Ermittlung für den Anzeiger allein. Ich ging die Sache ganz entspannt an, da sie alle Anzeichen einer netten kleinen Eskapade aufwies, die ich mit verbundenen Augen erledigen konnte.
An jenem schönen Tag vor zwei Wochen hatte ich daher nach meinem üblichen Mittagsmahl mit Helena einen angenehmen Spaziergang zum Forum unternommen. Dort erledigte ich vorbereitende Hausaufgaben. Die meisten Aufträge wurden mir ohne Vorwarnung erteilt. Diesmal war es gut, nicht wie gewöhnlich spontan entscheiden zu müssen, ob ich die Arbeit annehmen wollte.
Bei der Säule, an der die Nachrichten täglich ausgehängt wurden, brabbelte eine Handvoll Müßiggänger vollkommenen Blödsinn über Wagenrennen. Diese Nichtsnutze konnten sich nicht entscheiden, in welche Richtung die vier Pferde rannten, ganz zu schweigen davon, sich die Gewinnchancen für die Blauen und ihren Wiedereinstieg mit dem schnöseligen Wagenlenker auszurechnen, den sie unklugerweise eingekauft hatten, zusammen mit ihrem neuen Quartett X-beiniger Grauschimmel. Vor der Säule war ein einsamer Sklave mit dem Abschreiben der Schlagzeilen beschäftigt, in großen Buchstaben, um seine Tafel zu füllen und gut dazustehen. Sein Herr war vermutlich der übergewichtige Faulpelz in der Sänfte, der das Zeug sowieso nicht lesen würde. Wenn ich »lesen« sage, meine ich damit, dass es ihm vorgelesen wurde.
Es war schon spät am Tag, sich an der Säule zu informieren. Leute, die sich auf dem Laufenden halten mussten, hätten die Nachrichten schon vor Stunden bekommen. Politische Opportunisten, die ihre Rivalen ausmanövrieren wollten, bevor diese aus dem Bett gestiegen waren und ihre Netze gesponnen hatten. Ehebrecher, die sich ein gutes Alibi zurechtlegen mussten, bevor ihre Gemahlinnen wach waren. Selbst unschuldige Hausväter hielten gern Schritt mit den Edikten – Helena Justinas Vater schickte immer rechtzeitig seinen Sekretär, damit er sich während des Frühstücks in seine Abschrift vertiefen konnte. Was, da war ich mir sicher, nichts damit zu tun hatte, dass Decimus Camillus einer Unterhaltung mit seiner edlen Ehefrau ausweichen wollte, während er mit verquollenen Augen seine hübschen weißen Morgenbrötchen mümmelte.
Ich überprüfte die heutigen Familiennachrichten. Das meiste ließ mich gähnen. Wer interessiert sich schon für die Anzahl der Geburten und Todesfälle, die am vorherigen Tag der Stadt gemeldet worden waren, oder die beim Schatzamt eingezahlten Steuerschulden und die Statistiken über den Getreidevorrat? Die Wahllisten haben einen üblen Geruch. Gelegentlich fand ich
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