Das Geheimnis meiner Mutter
aufgerissen wurde.
„Gibt’s ein Problem, Officer?“ Grady Taylor sah nicht aus wie ein gewalttätiger Kerl. Er war etwas übergewichtig, aber sein Anzug saß gut. Er hatte die Krawatte abgenommen und locker über seine Schulter gelegt. Allerdings konnte er Rourke nichts vormachen. Er sah die Gewalttätigkeit in den glitzernden Augen, in der Art, wie sein Haar leicht zerzaust war, und an den aufgeplatzten Stellen auf seinen Fingerknöcheln.
„Ich schätze, die Frage sollte ich Ihnen stellen“, sagte Rourke und warf einen Blick an Taylor vorbei in die Wohnung. Im Hintergrund stand ein schlaksiger Teenager in Hip-Hop-Kleidung – übergroßes Sweatshirt, tief sitzende Hose mit Ketten an den Hosentaschen. Der Junge wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. Als er sah, dass Rourke ihn prüfend ansah, drehte er sich weg, als schäme er sich.
„Hier gibt’s keine Probleme, Officer“, sagte Taylor freundlich. „Mein Junge und ich hatten nur eine kleine Meinungsverschiedenheit – Teenager, Sie wissen ja …“
Mist. Hatte er wirklich erwartet, dass Rourke zustimmend nicken würde? Ja, Teenager. „Sieht so aus, als hätten Sie die Meinungsverschiedenheit mit Ihrer Faust ausgetragen“, sagte er.
„Das geht Sie verdammt noch mal nichts an.“ Taylor spuckte die Worte nur so aus. „Mein Gott, wie alt sind Sie? Zwölf? Sie haben ja keine Ahnung, was es heißt, ein Kind aufzuziehen, für seine Sicherheit zu sorgen …“
„Hier ist er aber nicht sicher“, unterbrach ihn Rourke und zeigte auf den Jungen. „Ich sage dir was. Du kommst mit mir, und wir reden ein wenig miteinander. So habt ihr beide die Chance, euch ein wenig abzukühlen.“
Mehr Aufforderung brauchte der Junge nicht. Er schnappte sich einen dicken Mantel und ging zur Tür.
„Wage es ja nicht, dieses Haus zu verlassen.“ Taylors Stimme durchschnitt die Luft wie eine Peitsche. „Ich schwöre bei Gott, ich werde …“
„Sie werden was?“ Erfüllt von weißglühender Wut hob Rourke den Schlagstock, legte ihn quer über die Kehle des Mannes und drückte ihn gegen die Tür. „Oder was, Sie elender Hurensohn?“
In Taylors Augen tobte der Zorn, und er hob seine Fäuste. Rourke spürte, dass er kurz davor war, die Kontrolle zu verlieren. Er drückte den Schlagstock noch heftiger gegen den Hals des Mannes. Versuch es nur, du fettes Arschloch. Reiz mich noch ein kleines bisschen mehr …
Taylors Gesicht wurde dunkelrot, als er nach Atem rang.
„Dad“, sagte das Kind. „Hey, Dad.“
Die Stimme durchbrach Rourkes Wut, und er trat zurück und löste den Druck. Verdammt, beinahe hätte er … Taylor sackte am Türrahmen zusammen. Rourke wandte sich an den Jungen, der seine blutige Lippe vergessen zu haben schien. Ein hellrotes Rinnsal aus Blut lief an seinem Kinn entlang, und er zitterte vor Angst – nicht vor seinem Vater, sondern vor Rourke.
„Gehen wir“, sagte Rourke. „Ich bringe dich zu einem Freund oder Verwandten, okay? Alles wird wieder gut.“
Der Junge blieb stumm, als sie in den prasselnden Regen hinaustraten und in den Streifenwagen stiegen. Rourke erstattete Bericht und reichte dem Kind dann eine Packung Taschentücher, um die Blutung zu stillen. Mit besorgter Miene schaute der Junge hoch zu seiner Wohnung. Kinder waren ihren Monstervätern gegenüber immer unglaublich loyal. Der Junge nannte ihm die Adresse eines Freundes, bei dem er über Nacht bleiben konnte. Dann fuhren sie schweigend durch den Regen.
Er hat Angst vor mir, dachte Rourke.
Nachdem er den Jungen abgesetzt hatte, wollte er eigentlich Joey abholen, aber gerade als er losfuhr, meldete sich sein Funkgerät. Ein Mustang neueren Datums war gegen einen Güterzug gefahren. Am Bahnübergang vor der Stadt, nur ein paar Straßenzüge von Rourkes Standort entfernt. Krankenwagen waren schon auf dem Weg.
Rourke hatte eine Vorahnung, bevor er die Unfallstelle erreichte. Er fühlte es wie einen eisigen Klumpen in seinem Magen. Irgendwie wusste er es, bevor er noch das hektische Treiben sah, das unnatürliche Licht der Notfallleuchten, das zerstörte Autowrack, den Rauch und die Funken, die in die Nachtluft stiegen, als die Rettungskräfte das Opfer bargen. Bevor er sich einen Weg durch die Sanitäter und Ausrüstung gekämpft und einen Blick auf das Opfer geworfen, in seine Augen gesehen hatte, in denen kein Schmerz, sondern nur Verwirrung stand. Joey wurde auf eine Trage geschnallt, sein Gesicht war kreideweiß.
Rourkes Herz sank wie ein Stein. Joey . Er war so
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