Das Geheimnis von Compton Lodge
nach oben und verharrte ein weiteres Mal auf meiner Stirn. Daraufhin entfernte er sich mit schnellen Schritten, riss von einem Strauch einen Zweig ab und war auch schon wieder zurück.
»Und was soll das, bitte?«
»Sehen Sie sich den Strauch an.«
»Holmes, das ist ganz gewöhnliches Farnkraut.«
»Farnkraut. Genau. Und?«
»Und was?«
Er warf einen beiläufigen Blick auf den Zweig, schüttelte leicht den Kopf und schnippte den Farn auf die Rasenfläche. Dann eilte er in Richtung York Gate davon. Ich konnte mir keinen Reim auf sein sonderbares Benehmen machen. Als ich ihn am Ausgang einholte, entschieden wir, noch einen Grog in einem der umliegenden Kaffeehäuser zu trinken. Es gelang uns, einen kleinen Tisch mit Blick auf die StraÃe zu ergattern. Ich hatte genug von seinem Verhalten, es bedurfte einer Klärung.
»Was hatten Sie vorhin mit der Frage im Sinn, ob ich Compton Lodge kenne? Und was, bitte, hat es mit diesem verschwundenen Zimmer auf sich? Wenn ich Sie nicht so gut kennen würde, müsste ich an Ihrer geistigen Zurechnungsfähigkeit zweifeln.«
Sein Gesichtsausdruck verriet Verwunderung und Interesse, als würde er ein ungewöhnliches Detail an einer Leiche untersuchen.
»AuÃergewöhnlich, ganz auÃergewöhnlich.«
Ich begann ungeduldig zu werden.
»Holmes! Ich fordere Sie auf, mir jetzt hier auf der Stelle Auskunft zu geben, sonst sehe ich mich gezwungen, das Kaffeehaus zu verlassen.«
»Dann sehen wir uns zu Hause. Ich werde noch einen Moment nachdenken und Ihre Einwürfe sind, gelinde gesagt, nervtötend.«
Ich fuhr vom Tisch hoch, konnte gerade noch verhindern, die Decke mitzureiÃen, und stürmte davon. Was war nur in ihn gefahren? Mein anfänglicher Ãrger verflog bald, denn es war so ungeheuer frostig, dass es aller Energie bedurfte, um der Kälte standzuhalten. Zurück in der Baker Street bat ich Mrs. Hudson um den Grog, der mir soeben verwehrt geblieben war, und befeuerte den Kamin.
Der
Daily Telegraph
berichtete über die hohe Zahl von erfrorenen Obdachlosen, diskutierte die gegen dieses Elend zu ergreifenden MaÃnahmen und die daraus entstehenden Kosten. Mrs. Hudson kam mit meinem HeiÃgetränk die Tür herein und kümmerte sich dankenswerterweise noch einmal um das Feuer. Ich hatte es mir gerade in einem Sessel bequem gemacht, als Holmes eintrat und sich nach einem kurzen Aufenthalt in seinen Gemächern zu mir gesellte.
»Watson, überlegen Sie bitte noch einmal, sagt Ihnen das verschwundene Zimmer nicht doch etwas?«
Wie schon zuvor, sah ich ihn auch dieses Mal erstaunt an, was war nur in ihn gefahren? Holmes unterbrach mich bei meinem Versuch etwas einzuwenden.
»Nein. Kein Kokain oder sonstige Rauschmittel. Simples Zuhören, mein Freund.«
Ich wusste nicht, wie reagieren.
»Sie erinnern sich doch hoffentlich an die letzten beiden Wochen?«
Ich nickte.
»Auch an Ihren Gesundheitszustand?«
Wieder nickte ich.
»Auf dem Höhepunkt Ihres Fiebers haben Sie begonnen, mich mit absonderlichen Bemerkungen zu ködern.«
»Zu ködern?«
Erneut war ich kurz davor, mich ernstlich zu empören, doch mein Gefährte hob die Hände zu einer entschuldigenden Geste.
»Sie erzählten mir höchst sonderbare Begebenheiten über einen Ort namens Compton Lodge. Wie ich mittlerweile herausgefunden habe, residierte dort bis vor etwa fünfundzwanzig Jahren Ihr GroÃvater mütterlicherseits, Sir Edward Ashton.«
»Jetzt, wo Sie es sagen! Der alte Herr lebte tatsächlich auf dem von Ihnen erwähnten Landsitz dieses Namens.«
»Und Sie haben sich nie dort aufgehalten?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
Holmes schwieg eine Weile, dann stand er auf und ging zum Kamin, um sich eine Pfeife zu stopfen. Langsam kamen Zweifel in mir hoch. Er legte seine Hand auf meine Schulter und tätschelte sie leicht, was mich irritierte. SchlieÃlich kam er um den Sessel herum und zog ein Blatt Papier aus seiner Tasche hervor.
»Sie sollten einen Blick auf diese Unterlagen werfen, es dürfte Sie interessieren. Ich darf hinzufügen, dass Sie mich mehrfach während Ihres Krankenlagers darum baten, Ihren Fall zu übernehmen. Und ich habe Ihnen schlieÃlich mein Ja-Wort gegeben.«
Er schmunzelte kurz und lieà das Blatt auf meinen Morgenmantel fallen. Nachdem ich einen Augenblick überlegt hatte, schaute ich zu ihm auf,
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