Das Geheimnis von Sittaford
fortschicken und ihn später vielleicht in seinem eigenen Haus aufsuchen. Der Leichnam kann fortgeschafft werden. Wo wohnt übrigens Dr. Warren? In derselben Richtung wie die ‹Three Crowns›?»
«Nein, Sir, gerade entgegengesetzt.»
«Gut, dann gehe ich zuerst ins Gasthaus. Und Sie, Pollock, sofort an die Papiere.»
6
V om Schicksal war es Inspektor Narracott bestimmt, den Major erst nach einer langatmigen Unterhaltung mit Mrs Belling zu sehen, der Eigentümerin der «Three Crowns».
Mrs Belling war fett und aufgeregt und derart zungenfertig, dass man nichts anderes tun konnte, als dem Redestrom geduldig standzuhalten, bis er schließlich von selbst versiegte.
«Und eine solche Nacht hat noch keiner von uns erlebt», beteuerte sie. «So etwas musste dem armen, guten Herrn zustoßen…! Oh, oh, wie grauenvoll! Diese ekelhaften, schmutzigen Landstreicher – ich habe es stets gesagt, ich habe es Dutzende von Malen gesagt: Ich kann das Landstreichergesindel nicht leiden. Warum hatte aber der Captain auch keinen Hund? Um einen Hund macht das Vagabundenpack einen großen Bogen. Hätte er einen Hund gehabt, so lebte er heute noch.»
«Ja, Mr Narracott», geruhte sie endlich seine vor zehn Minuten gestellte Frage zu beantworten, «der Major sitzt gerade beim Frühstück, unten im Gastzimmer. Herrjemine, was hat der Arme für eine unbehagliche Nacht gehabt. Wie habe ich ihn bemitleidet. Er behauptete zwar, es sei ganz nebensächlich, ob er was anzuziehen habe oder nicht. Na ja, kein Wunder nach dem Schreck über die Ermordung seines besten Freundes. Sie waren alle beide sehr nette Herren, Mr Narracott, obgleich man den Captain knickrig schalt. Mein Gott, ich habe früher oft gedacht, dass es gefährlich sei, dort oben in der Einöde von Sittaford zu leben. Und stattdessen? Wird der Captain hier in unserer Stadt umgebracht. Ja, im Leben passiert immer das, was man am wenigsten erwartet. So ist es doch, Mr Narracott, nicht wahr?»
Der Inspektor beeilte sich zu versichern, dass es so sei, und benutzte klugerweise die Gelegenheit zu der Frage:
«Wer wohnte gestern bei Ihnen? Irgendwelche Fremden?»
«Mal nachdenken… Mr Moresby und Mr Jones, beides Reisende. Und außerdem ein junger Herr aus London. Sonst niemand. Im Winter ist nicht viel los hier. Aber halt! Mit dem letzten Zug kam noch ein junger Herr, der jetzt noch oben in seinem Zimmer schläft.»
«Der letzte Zug kommt gegen zehn, nicht wahr…? Nun, dann brauchen wir uns um den Gast nicht zu kümmern. Wie steht’s mit dem anderen, dem Londoner? Kannten Sie den?»
«Noch nie in meinem Leben gesehen. Er ist kein Reisender – etwas Feineres. Im Augenblick fällt mir sein Name nicht ein, doch er steht ja im Gästebuch. Heute Morgen fuhr er mit dem ersten Zug nach Exeter, um 6 Uhr 10. Ziemlich unbegreiflich, was? Möchte wissen, was er hier zu suchen hatte!»
«Erwähnte er den Zweck seines Hierseins nicht?»
«Bewahre.»
«Ging er denn aus?»
«So ungefähr um die Mittagszeit kam er an, ging gegen halb fünf aus und kehrte Viertel nach sechs zurück.»
«Und wohin ging er hier in der Stadt?»
«Keine Ahnung, Sir. Vielleicht einen kleinen Bummel machen, denn das dichte Schneetreiben setzte erst nachher ein. Aber zum Spazierengehen verlockte das Wetter trotzdem nicht.»
«Um halb fünf ausgegangen, um Viertel nach sechs zurückgekehrt», murmelte der Inspektor. «Hm… hm… Erkundigte er sich nach Captain Trevelyan?»
«Nein, Mr Narracott», erklärte Mrs Belling sehr bestimmt. «Er erkundigte sich nach überhaupt niemandem. Schweigsam und in sich gekehrt war er. Ein netter, freundlicher junger Mann, nur schien es mir, als ob ein Kummer ihn quälte.»
Der Inspektor nickte und ging, um das Gästebuch anzusehen.
«James Pearson, London», murmelte er. «Ziemlich nichtssagend. Wir werden über Mr Pearson Erkundigungen einziehen müssen.»
Dann begab er sich ins Gastzimmer, auf der Suche nach Major Burnaby. Er fand ihn leicht, da außer dem Major niemand im Zimmer war.
«Major Burnaby?»
Der Angeredete setzte die Kaffeetasse nieder und hob den Blick von der vor ihm liegenden Times. «Der bin ich.»
«Erlauben Sie, dass ich mich vorstelle: Inspektor Narracott aus Exeter.»
«Guten Morgen, Inspektor. Fortschritte zu verzeichnen?»
«Ja, Sir. Ich glaube, ich kann das ohne Übertreibung sagen.»
«Freut mich zu hören», meinte der Major trocken. Doch aus seiner Haltung sprach Unglaube.
«Über einige Punkte möchte ich gern Ihre Ansicht wissen,
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