Das Geld - 18
mit dem Geld«, das heißt, er erfaßt zunächst den umgrenzten gesellschaftlichen Aspekt des Themas als Etappen eines Entwicklungsganges, ohne die treibenden Momente dieses Entwicklungsganges einzubeziehen, und fährt dann fort: »Aber das genügt nicht, ich möchte noch ein Stückchen eines leidenschaftlichen Dramas haben«, das heißt, er siedelt die dramatische Spannung zunächst außerhalb des gesellschaftlichen Themas an. Als solches »leidenschaftliches Drama« bot sich wie immer eine kleine Liebesgeschichte an, irgendein Liebesabenteuer Saccards – und aus diesen Überlegungen sind auch tatsächlich die verschiedenen Episoden entstanden mit der Baronin Sandorff, mit Madame de Jeumont, der Kokotte aus der ersten Gesellschaft, und mit der hübschen Papierwarenhändlerin Conin.
Mit diesem Versuch einer Verlagerung der »dramatischen« Handlung aus dem Zentrum seines Themas in die Privatsphäre der agierenden Personen wiederholt sich für Zola in gewisser Weise das Gestaltungsproblem aus der »Beute«. Dort ging es allerdings um die Verbindung zweier Stoffe, der Grundstücksspekulationen unter dem Kaiserreich und des Phädrastoffes, die in keinem einheitlichen Thema zu fassen waren. Oder besser gesagt: da es Zola nicht gelang, aus seinem Stoff (Grundstücksspekulationen) ein Thema herauszukristallisieren; griff er zur Verbindung zweier Stoffe, die auf der Ebene der moralischen Verurteilung sich trafen. Bei der gestalterischen Durchführung aber mußte Zola viel Erfindungsgabe aufwenden, um die beiden immer wieder auseinanderstrebenden Handlungsstränge mit ihren zwei Hauptfiguren zumindest durch die eine von ihnen, seinen Saccard, zusammenzuhalten. Im »Geld« setzt sich im Gegensatz zur »Beute« die gesellschaftliche Thematik als eigentlicher Handlungsträger mit einer Zentralfigur, nämlich Saccard, durch und ordnet sich die ursprünglich als »dramatische« Handlung konzipierten Episoden unter. Dieser »Sieg« der einheitlichen Thematik hängt sicher mit Zolas immer stärker werdendem Bemühen zusammen, die gesellschaftliche Relevanz seiner Themen voll herauszuarbeiten, Grundprobleme der gesellschaftlichen Entwicklung seiner Zeit aufzugreifen und zu durchleuchten, nach dem Wie des sozialen Kausalnexus zu fragen und nach dem Zukunftsweg der Menschheit.
Zola lotet diesmal sein Thema auch gesellschaftlich tief aus. Er zeigt, daß der Konkurrenzkampf des Kapitals eine Schlacht ist ohne Erbarmen. »Sein Leben zu verteidigen, das ist gar nichts«, sagt Saccard, »viel schlimmer ist es, sein eigenes und anderer Leute Geld zu verteidigen.« In diesem Kampf ohne Gnade muß man sich schlagen, die anderen fressen, um nicht gefressen zu werden. »In diesen … Geldschlachten, wo man die Schwachen geräuschlos niedermetzelt, gibt es keine Bindungen, keine Verwandtschaft und keine Freundschaft mehr: es herrscht das gräßliche Gesetz der Starken, die fressen, um nicht gefressen zu werden.« Und die vordergründig stets von neuem hervorgehobenen Wohltaten des Geldes und der Börse – Saccard bedient sich dabei aller Standardargumente, die auch heute noch in den Werbebroschüren der Pariser Börse verwendet werden – erweisen sich bei näherem Zusehen als handfeste ökonomische und finanzielle Interessen und Vorteile. In Saccards Darstellung wird die Universelle gegründet, »um Finanz- und Industrieunternehmungen zu stützen, die wir im Ausland aufbauen wollen, deren Aktien wir plazieren werden und die uns so ihre Existenz verdanken und uns zugleich die Herrschaft sichern«. Saccard stellt die Orientunternehmungen immer wieder als Wohltaten hin, wodurch diesen rückschrittlichen Gegenden die Segnungen der Zivilisation gebracht würden. Ein unendlich weiter Horizont, ein großes Tor zur alten Welt Asiens soll aufgetan, ein unbegrenztes Feld für die Hacke des Fortschritts erschlossen werden. Aber selbst das Publikum, das wie rasend nach der dritten Kapitalerhöhung Universelle-Aktien kauft, ist sich über die wahren Zusammenhänge im klaren: was Napoleon mit seinem Säbel nicht geschafft hatte, das vollbrachte ein Kreditinstitut, indem es »eine Armee von Hacken und Karren dorthin schickte. Man eroberte Asien mit Millionen, um Milliarden aus seinem Boden zu stampfen.« Diesen verhundertfachten Profit meinte Lenin, wenn er von »Wucherimperialismus« sprach.
Diese Welt des modernen Diebstahls – »nichts bringt soviel Gewinn wie gestohlenes Geld«, sagt Saccard – hat deshalb auch ihre eigenen Gesetze. Der Fürst
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