Das Geld - 18
allmählich unausweichlich wird … Dann die Weltausstellung ….« Und er will schließen »mit dem ungeheuren Erfolg der Weltausstellung und einem unbestimmten Unbehagen im Hintergrund, schließen in dem Augenblick, da alles dabei ist zusammenzubrechen; das Desaster Saccards soll das des Kaiserreichs ankündigen. So wird die Politik eine dumpfe Begleitung zu meinem Roman abgeben …«
Mit dieser allgemeinen Kurve der historischen Entwicklung von Aufstieg, Glanz und Niedergang des Kaiserreichs stimmen nun die Prosperitätskurve der Banque Universelle Saccards und sein eigener Werdegang in diesem Jahren exakt überein. Als das Kaiserreich zur Zeit der Weltausstellung als Gastgeber für alle Potentaten Europas auf dem Höhepunkt seiner äußeren Macht und seines Glanzes steht, feiert im Roman Saccard seine glänzendsten Triumphe; gönnt er sich die teuersten Ausschweifungen – 200000 Francs für eine Nacht mit Madame de Jeumont, das Doppelte von dem, was der Kaiser bezahlt hatte –, scheint seine Stellung an der Börse unerschütterlich. Endlich besaß er sie, diese »wirkliche Königswürde des Goldes, die solide auf vollen Säcken thront«, erworben von ihm, dem »Freibeuter, der ein Königreich im Handstreich nimmt«.
Vergleicht man diese Fülle von Konkordanzen zwischen den realgeschichtlichen Vorgängen, den Fakten des Wirklichkeitsstoffes um die Union und der Romanhandlung, so könnte man sich fragen, worin eigentlich die künstlerische Leistung Zolas liege. Hatte er die Ereignisse einfach übernommen, wie sie sich zugetragen hatten, und damit das Ideal seiner Schaffensmethode endlich erreicht, die Wiedergabe der vollen Wahrheit durch einfache Reproduktion des Wirklichkeitsvorbildes?
Der Künstler Zola wußte sehr genau, daß dies nicht genügen würde und wie schwierig es war, diesen an sich spröden Stoff literarisch umzusetzen, denn er wollte ja schließlich nicht eine Prüfungsarbeit in Finanzökonomie oder eine wissenschaftliche Abhandlung als Historiker schreiben. »Es ist sehr schwierig, einen Roman über das Geld zu schreiben. Das ist kalt, eisig, bar jeden Interesses.« (Interview vom 8. April 1890.) Und an anderer Stelle heißt es: » … nichts ist meiner Ansicht nach der Kunst so widerstrebend wie die Geldfragen, wie diese ganze Finanzmaterie.« (Brief vom 10. September 1890 an Van Santen Kolff.) Edmond de Goncourt bemerkte gehässig: »Das Geld ist gut als Handlungsmotor, aber im ›Geld‹ als Studie gefaßt … ist zuviel Geld.«
Zola hat deshalb auch alles an äußeren »Poetisierungsmitteln« eingesetzt, was ihm zur Verfügung stand. Wenn er von dem Vorbild der Union abweicht, dann gerade in dieser Hinsicht. Die Transaktionen der Universelle greifen im Gegensatz zur Union über Europa hinaus und führen in Städte und Länder, die den Träumen ein weites Feld eröffnen: Konstantinopel, der Vordere Orient, das Gelobte Land. Die Namen der Städte, durch die Saccard seine Eisenbahnen führt und die er wie Gebetsformeln immerfort wiederholt, die Bank zum Heiligen Grab, die Silbergruben des Karmel, das alles klingt wie Märchen aus Tausendundeiner Nacht, beflügelt die Phantasie und umgibt das Unternehmen Saccards mit dem Hauch des Geheimnisvollen. Und diese Wirkung soll nicht nur die Kunden Saccards, sondern auch den Leser erfassen.
Aber Zola weiß natürlich, daß durch solchen äußeren Aufputz noch keine echte Poetisierung zu erreichen ist, sie kann letztlich nur das Ergebnis der gesamten künstlerischen Umsetzung sein, und dafür sind Thematik, Handlungsführung und Komposition entscheidend.
» … ich habe die Rolle des Geldes in der Gegenwart studieren wollen«, schreibt er an Van Santen Kolff (9. Juli 1890). Mit dieser Themenstellung hängt auch der Wechsel des Titels zusammen. Ursprünglich war nur die Börse als Sachkomplex ins Auge gefaßt. »Der Titel ›Das Geld‹ … hat sich mir in gewisser Weise aufgedrängt, denn ich habe den Rahmen erweitert und mich nicht in dem begrenzten Milieu der Börse eingesperrt.« (Brief an Van Santen Kolff, 12. September 1890.) Und diese erweiterte Thematik wird dann von Zola in dem ersten Entwurf in drei großen Umschlagspunkten der Handlungsführung erfaßt: Saccard auf der Suche nach Geldgeschäften – Anfang und Aufstieg der Union unter Leitung von Saccard – die Krise, das irre Spiel um die Hausse und das ganze Drama an der Börse. Zola schreibt: »Das gibt mir einfach ein Börsendrama … und das will ich ja schließlich auch, den Handel
Weitere Kostenlose Bücher