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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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zu keinem großen Führer irgendeiner Art bekennen würde.
    Auf dieser Insel gab es eine berühmte Hotelanlage, und Offizier So glaubte, sie könnten einen einsamen Touristen am Strand ausfindig machen. Doch als sie die Leeseite der Insel erreichten, dümpelte dort ein schwarzes Sechs-Mann-Schlauchboot mit einem Fünfzig-PS-Honda-Außenborder. Sie tuckerten hin, um sich die Sache anzusehen. Das große Schlauchboot war verlassen, weit und breit kein Mensch. Sie kletterten hinein, und Offizier So ließ den Außenborder testweise kurz an. Er zog den Treibstoffkanister aus dem Skiff, und gemeinsam drehten sie es auf die Seite – im Nu lief es voll und sank, mit dem Achtersteven voran, gezogen vom Gewicht des Vpresna.
    »Wer sagt’s denn«, meinte Offizier So, während sie ihr neues Boot bewunderten. »Jetzt sind wir ein echtes Einsatzkommando.«
    In dem Augenblick kam der Taucher hoch.
    Er schob die Taucherbrille auf die Stirn und wirkte sehr verwundert, drei Männer in seinem Boot zu sehen. Aber er reichte einen Sack voll Abalones hinauf und ließ sich von Gil an Bord helfen. Der Taucher war größer als sie und muskulös; er trug einen Neoprenanzug.
    Offizier So befahl Gil: »Sag ihm, dass unser Boot kaputt war und gesunken ist.«
    Gil redete mit dem Taucher, der wild gestikulierte und lachte.
    »Ich weiß, dass euer Boot gesunken ist«, übersetzte Gil. »Es ist fast auf meinem Kopf gelandet.«
    Dann bemerkte der Taucher etwas weiter entfernt den Fischkutter. Er sah sie fragend an.
    Gil schlug dem Taucher auf den Rücken und sagte etwas zu ihm. Der Mann starrte Gil in die Augen. Dann drehte er durch. Wie alle Abalonetaucher trug auch er ein Messer am Knöchel, und es dauerte lange, bis Jun Do ihn überwältigt hatte. Endlich bekam er ihn von hinten mit einem Würgegriff zu fassen, der das Wasser aus dem Neoprenanzug drückte.
    Gil war über Bord gesprungen, als der Taucher um sich stach.
    »Was zum Teufel hast du zu ihm gesagt?«, wollte Jun Do wissen.
    »Die Wahrheit«, sagte Gil wassertretend.
    Offizier So hatte eine ordentliche Schnittwunde am Unterarm abbekommen. Er schloss vor Schmerz die Augen. »Weiterüben«, war sein einziger Kommentar.
    *
    Sie steckten den Taucher in den Laderaum des Fischerboots und hielten Kurs aufs Festland. In der Nacht ließen sie das Schlauchboot vor der Ortschaft Fukura zu Wasser. Neben dem langen Angelpier war den Sommer über ein Rummelplatz aufgebaut, Laternen baumelten an Schnüren, und alte Leute sangen auf einer öffentlichen Bühne Karaoke. Jun Do, Gil und Offizier So ließen sich hinter der Brandung treiben und warteten ab, bis die Neonbeleuchtung an der Achterbahn erlosch und die Leierkastenmusik der Buden verstummte. Schließlich stand nur noch eine einsame Gestalt am Ende des Piers. Als sie eine Zigarette rot aufglühen sahen, wussten sie, dass es ein Mann war. Offizier So ließ den Außenborder an.
    Sie tuckerten auf den Pier zu, der sich hoch vor ihnen erhob. Dort, wo die Sturzbrecher auf die Poller trafen, herrschte Aufruhr, manche Wellen sprangen senkrecht nach oben, andere kamen Richtung See zurückgerollt.
    »Sag was auf Japanisch«, befahl Offizier So Gil. »Sag, du hast dein Hündchen verloren oder so was. Geh ganz nah ran. Dann – runter mit ihm. Man fällt tief, und das Wasser ist kalt. Wenn er wieder hochkommt, wird er ganz scharf drauf sein, zu uns ins Boot zu klettern.«
    Als sie anlandeten, stieg Gil aus. »Ich mach’s«, verkündete er. »Der hier gehört mir.«
    »O nein«, sagte Offizier So. »Ihr geht beide.«
    »Ehrlich«, erwiderte Gil. »Ich schaff das allein.«
    »Raus«, sagte Offizier So zu Jun Do. »Und setz verdammt noch mal die Brille auf.«
    Die beiden überquerten den Strand und kamen an einen kleinen Platz mit Bänken und Blumenbeeten und einem verschlossenen Teestand. Sie konnten keine Statue entdecken und daher auch nicht feststellen, wer auf diesem Platz verehrt wurde. Die Bäume hingen voller Pflaumen, so reif, dass den beiden der Saft an den Händen herunterlief. Das Ganze schien zu unmöglich, um wahr zu sein. Ein schmutziger Mann schlief auf einer Bank; sie staunten darüber, dass ein Mensch sich hinlegen konnte, wo er wollte.
    Gil konnte den Blick nicht von den Häusern um den Platz abwenden. Mit ihren dunklen Balken und den Ziegeldächern waren sie zwar traditionell gebaut, aber man merkte, dass sie brandneu waren.
    »Ich will all diese Türen aufmachen«, sagte Gil. »Auf japanischen Stühlen sitzen, ihre Musik hören.«
    Jun Do

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