Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesamtwerk

Das Gesamtwerk

Titel: Das Gesamtwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Borchert
Vom Netzwerk:
denk ich, mein Bester, das denk ich und sitz hier und schreib hier und trink diesen undefinierbaren Kaffee. Und dabei da denk ich das. Was meinen Sie, wenn ich das einfach so sagen würde, wie? Wer sollte das aushalten, wie? Das würde doch kein Mensch mehr aushalten, wenn man das alles so sagt, was man denkt. Er machte sein Fischmaul und machte die Stirn voller Stacheldraht. So voll Fallen. Wie Stacheldraht.
    Das Mädchen sah in die Kaffeetasse. Sie ersäuft sich, dachte der mit dem Buch. Und dann fiel ihm ein, daß die Tasse zu klein war zum Sterben und er sagte: Dieser Kaffee, kaum zu genießen. Da schlug der mit dem fröhlichen Gesicht mit der flachen Hand auf den Tisch, daß es patschte. Sie ist verrückt, sagte er, und sein Gesicht, das grinste ganz ohne sein Wissen so fröhlich dabei und er trank mit gierigen Schlucken den Kaffee. Sie ist verrückt, sagte er ganz aus der Puste vom Trinken, man müßte sie glattweg erschlagen, weil sie verrückt ist, sag ich. Na, hörn Sie mal, Sie sind vielleicht ein Herzblatt! rief der Brothändler. Macht ein Gesicht wie Pfingsten und redet vom Totschlagen. Vor Ihnen muß man sich hüten, glaub ich. Macht ein Gesicht wie Pfingsten und redet – Da lächelte der mit dem Buch ziemlich eifrig. Keineswegs, sagte er, keineswegs. Das ist Dualismus, verstehen Sie? Typischer Dualismus. Wir haben alle ein Stück Jesus und Nero in uns, verstehen Sie. Wir alle. Er machte eine Grimasse, schob das Kinn und die Unterlippe vor, kniff die Augen ganz klein und blähte die Nasenlöcher dazu. Nero, sagte er erläuternd. Dann machte er ein sanftes sentimentales Gesicht, strich sich das Haar glatt und machte hundetreue Augen, harmlos und etwas langweilig. Jesus, erklärte er dazu. Und: Sehn Sie, haben wir alle in uns. Typischer Dualismus. Hie Jesus – Hie Nero. Und er versuchte noch mal blitzschnell die beiden Gesichterzu machen. Es mißlang. Vielleicht war der Kaffee so schlecht.
    Wer ist Nero? sagte der Fröhliche mit dummem Gesicht. Oh, der Name spielt keine Rolle. Nero war einer wie Sie und ich auch. Nur daß er nicht bestraft wurde für das, was er tat. Und das wußte er. So tat er eben alles, was ein Mensch tun kann. Wenn er Briefträger oder Tischler gewesen wäre, hätte man ihn aufgehängt. Aber er war zufällig Kaiser und tat das, was ihm einfiel. Alles, was Menschen so einfällt. Das ist der ganze Nero. Und Sie meinen, ich bin so ein Nero? fragte der Fröhliche. Fifty-fifty, mein Lieber. Sicher können Sie auch Jesus sein. Aber wenn Sie das Mädchen da erschlagen wollen, dann sind Sie Nero, mein Lieber, dann sind Sie ausgesprochen Nero. Verstehen Sie?
    Wie auf Kommando nahmen die drei Männer die Kaffeetassen und tranken und legten die Köpfe in den Nacken und sahen an die Decke. Aber oben war nichts zu erkennen und sie kehrten auf die Erde zurück. Und der Brothändler sagte zum siebzehntenmal und zum achtzehntenmal: Der Kaffee ist undefinierbar. Der Kaffee ist un-de-fi-nier-bar. Der mit dem Pfingstgesicht aber wischte sich die Lippen trocken und platzte heraus: Sie sind auch verrückt. Ihr seid alle verrückt. Was geht mich Nero an. Oder der andere. Nichts, sag ich Ihnen, nichts, sag ich. Ich komme ausm Krieg und ich will nach Hause. Siehste. Und zu Hause will ich mit meinen Eltern morgens auf dem Balkon sitzen und Kaffee trinken. Das hab ich mir den ganzen Krieg lang gewünscht. Morgens aufm Balkon sitzen und mit meinen Eltern Kaffee trinken. Siehste. Und jetzt bin ich unterwegs. Und da kommt diese Verrückte und sagt einfach, sie will sich das Leben nehmen. Das hält doch kein Mensch aus, wenn man das einfach so sagt: Ich will mir das Leben nehmen.
    Das sagte der Soldat. Und der Brothändler nahm seineAugen aus der Unergründlichkeit seines Kaffees hoch und machte eine Na-was-sag-ich-Gebärde und sagte dazu: Das ist ja meine Rede, sagte er, das ist ja doch dauernd meine Rede. Genau wie mit den Broten. Wenn ich das so einfach hinausposaunen wollte, wie? Morgen haben viertausendachthundert Kinder kein Brot, wie? Wie wird Ihnen denn dabei, wie? Wer soll denn das aushalten. Das hält doch heut keiner mehr aus, meine Herrn. Und er sah den mit dem Buch an. Und der Fröhliche, der aus dem Krieg kam, der sah den auch an.
    Da stand dieser auf. Mit dem kleinen Finger knipste er ein paar Krümel vom Tisch und sagte dazu: Sie sind mir zu materialistisch, sagte er betrübt. Sie kommen aus dem Krieg nach Hause, um auf dem Balkon Kaffee zu trinken. Und Sie, Sie handeln mit Brot. Sie rechnen mit

Weitere Kostenlose Bücher