Das Geschenk des Osiris
wo du auf ihn warten sollst. Bitte folge mir.«
»Wann wird dein Herr zurückerwartet?«
»Das entzieht sich meiner Kenntnis. Prinz Itiamun sagte, dass du auf ihn warten sollst.«
Dem gab es nichts mehr hinzuzufügen.
Schweigend folgte Amunhotep dem Obersten der Dienerschaft im Haushalt des Thronfolgers.
Meres führte ihn zu einem Teich, wo bereits ein kleines Tischchen und zwei mit Kissen gepolsterte Stühle bereitstanden.
»Bitte, Herr, setze dich. Sobald der Prinz kommt, werde ich ihm deine Anwesenheit melden.« Abermals verneigte er sich und verschwand in Richtung des Hauses, um seiner täglichen Arbeit nachzugehen.
Amunhotep machte es sich bequem.
Kurze Zeit später erschien eine Dienerin und brachte ihm kleine, in Honig getauchte Gebäckstücke, eine Schale Datteln und einen Krug Wein.
Hungrig griff er zu.
Nachdem er etwas gegessen hatte, streckte er die Beine von sich und blinzelte in die Sonne, die durch das Laub der Bäume fiel. Ein Entenpärchen watschelte über den Rasen und strebte dem Teich zu, auf dem blaue und weiße Lotosblumen schwammen. Anscheinend hatte der Erpel ernste Absichten, von denen seine Angebetete jedoch nichts wissen wollte. Schnatternd lief sie vor ihm her, und er folgte ihr ergeben.
Amunhotep musste schmunzeln und genoss die ihm zwangsweise auferlegte Ruhe.
Er war Vorsteher der Vorlesepriester im Tempel des Amun. Selten verblieb ihm die Zeit und Muße, sich entspannt unter einen Baum zu setzen und nichts zu tun. Er war fünfundzwanzig Jahre alt und diente seit seinem sechzehnten Lebensjahr im Tempel von Opet-sut. Als er fünf gewesen war, hatte ihn sein Vater, der selbst hohe Ämter am Hof des Königs innehatte, in die Obhut der Lehrer und Erzieher der königlichen Palastschule von Per-Ramses gegeben, wo er sich schnell mit Prinz Itiamun angefreundet hatte, der ein Jahr älter war als er. Nach seiner Ausbildung war er wieder nach Theben zurückgekehrt und als niederer Priester im Tempel des Amun aufgenommen worden. Sechs Jahre später hatte er bereits den Vorlesepriestern angehört, denen es oblag, während des Rituals mit lauter Stimme die heiligen Hymnen zu rezitieren. Als der Heri-tep, der Vorsteher der Vorlesepriester, in den Tempel der Göttin Mut wechselte, war er an dessen Stelle getreten. Böse Zungen behaupteten zwar, dass er seinen schnellen Aufstieg nur seiner verwandtschaftlichen Beziehung zur obersten Priesterschaft zu verdanken hatte, aber Leute, die das erklärten, kannten die Männer seiner Familie schlecht.
Seit Jahrhunderten dienten sie treu und ergeben dem Königshaus. Selbst in den Wirren des Kriegs, als das Chaos über das von den Göttern geliebte Land hereingebrochen war und sich fremdländische Herrscher auf dem Horusthron niedergelassen hatten, standen sie treu zum Sohn des Re. Sie hatten verantwortungsvolle Ämter übertragen bekommen, die von ihnen verlangten, keinen zu bevorzugen und keinen zu benachteiligen, und an diesen Vorsatz hatten sich die Angehörigen seiner Familie stets gehalten.
»Es tut mir leid, dass ich dich habe warten lassen, aber Staatsangelegenheiten gehen vor.« Unbemerkt hatte sich Itiamun von hinten seinem Gast genähert.
»Aber, Majestät ...« Überrascht sprang Amunhotep von seinem Stuhl hoch und verneigte sich. »Du bist der Mitregent der Beiden Länder und brauchst dich nicht bei mir zu entschuldigen. Du bist der Herr und ich dein dir treu ergebener Diener.«
Itiamun lachte schallend und musterte sein Gegenüber amüsiert.
Amunhotep war hochgewachsen, sodass er die meisten seiner Landsleute überragte. Er hatte ebenmäßige Gesichtszüge und einen muskulösen Körper, der nicht nur Itiamuns Halbschwester Bintanat zum Träumen brachte. Sein Kopf war kahl geschoren, und als Zeichen seiner priesterlichen Würde trug er über seinem kurzen Hemd und dem langen weißen Schurz ein Leopardenfell.
»Oh, wie förmlich heute. Das bin ich von dir überhaupt nicht gewöhnt.«
»Ich übe für die Zukunft, wenn dereinst du auf dem Horusthron sitzt.« Amunhotep lächelte verschmitzt.
Itiamun legte den Kopf schräg und musterte den Freund. »Gehörst du jetzt auch zu diesen Hofschranzen, die den ganzen Tag nichts anderes zu tun haben, als hinter vorgehaltener Hand über die Gesundheit meines königlichen Vaters zu tuscheln?«
Beleidigt sah Amunhotep ihn an. »Du weißt, dass das nicht stimmt. Aber auch mir ist nicht entgangen, dass der gesamte Palast in Aufruhr versetzt wurde. Immerhin kommt es recht selten vor, dass sich der
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