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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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etwas Ordnung in das verwehte, nasse Gestrüpp zu bringen.
    Aus einer Tür kam Major Braddock. Er stutzte, als er Rusch stehen sah, und kam dann überrascht mit schnellen Schritten auf ihn zu.
    »Professor, Sie? Schon da?«
    »Major Braddock! Sie hier? Hat man Sie versetzt?«
    Braddock drückte Rusch beide Hände. Dabei fielen die Revers herunter, und der Major sah erstaunt die nackte Brust unter der Jacke.
    »Was ist denn das?«
    Rusch lächelte schwach. »Ich hatte mein Hemd gewaschen und zum Trocknen aufgehängt, als man mich holte.«
    »Ich werde Ihnen sofort ein neues Hemd besorgen, Professor.« Braddock sah den jungen GI an, der starr geradeaus sah, als höre er nichts und sei aus Wachs. »Hatten Sie tatsächlich nur ein Hemd mit?«
    »Vier, Major.«
    »Und die drei anderen?«
    Rusch senkte den Kopf. »Ich hatte Hunger«, sagte er leise. »Ich habe sie gegen Brot eingetauscht.«
    Braddock schwieg. Er starrte Rusch einen kurzen Augenblick an, wandte sich dann ab und stampfte durch den langen Gang davon. Ein Leutnant kam aus einem der vielen Zimmer und winkte dem GI. »Professor Rusch?« rief der junge Offizier.
    »Ja«, rief Rusch zurück.
    »Okay! Zimmer sechs. Eine Stunde.«
    Die Tür klappte wieder zu. Verwundert sah Rusch sich um.
    »Was ist eine Stunde?«
    Der GI winkte mit starrem Gesicht. »Go on.« Er ging bis zur Tür Nr. 6 und stieß sie auf. Rusch folgte ihm langsam, vorsichtig, wie ein sicherndes Wild. Ein neues Verhör, dachte er. Hat Urban wieder eine Lüge verbreitet? Will man mich auf ›humane‹ Art weichmachen zu einem sinnlosen Geständnis? Soviel wurde in den Camps erzählt von erlaubten Methoden, die jeden an den Rand des Wahnsinns bringen. Gehirnwäsche nennen sie es.
    Das erste, was Rusch in dem Zimmer sah, war eine ausgespannte Fahne an der Wand. Dann bemerkte er einen Tisch. Er war leer und ein wenig staubig. Was soll das alles, dachte er verblüfft. Er trat in das Zimmer, schnell, um zu zeigen, daß er die Angst überwunden hatte.
    Vor ihm schnellte etwas hoch. Es geschah so plötzlich, daß er gar nicht wahrnahm, was es war. Aber einen Schrei hörte er, und er erkannte die Stimme, noch bevor seine Augen die Gestalt der Frau erkannt und er ihre Arme warm und zärtlich um seinen Nacken spürte.
    »Lisa«, stammelte er. »Lisa. Ist das denn wahr, Lisa?«
    Der junge GI hatte die Tür geschlossen und stand wie ein Pfahl an der Wand. Mit unbewegtem Gesicht sah er zu, wie sich der weißhaarige Mann und die schöne, schwarzlockige Frau küßten, immer und immer wieder, er beobachtete, wie Rusch sie zurück zum Stuhl führte und die Frau kraftlos darauf niedersank und ihren Kopf in seine Hände legte.
    »Du bist gekommen«, sagte Rusch stockend. »Wie schön ist das, wie schön.«
    »Wie – wie dünn du geworden bist.« Lisa strich mit den Fingern über seine nackte Brust und tastete über die aus der Haut stechenden Rippen. »Wie geht es dir, Walter? Hast du großen Hunger? Behandelt man dich gut? Du hast doch keinem etwas getan, du hast doch nur allen Menschen geholfen.«
    »Darauf kommt es jetzt nicht an, Lisa.« Er setzte sich auf den Tisch und schlug Kragen und Revers der Jacke wieder hoch. »Wieso konntest du hierherkommen?«
    »Braddock hat es möglich gemacht.«
    »Ich glaube, er ist unser einziger Freund.«
    »Er wird dich auch wieder herausholen aus diesem Lager.«
    Rusch schüttelte den Kopf. »Ich glaube es nicht mehr, Lisa …«
    »Aber du hast doch niemals …«
    »Urban hat einen Eid geleistet.«
    »Solch ein Lump!« Lisa sprang auf. Ihr Gesicht flammte auf, und sie ballte die Fäuste vor ohnmächtiger Wut. »Und was hast du getan?«
    »Was sollte ich tun? Ich habe einen Gegeneid geleistet. Aber man glaubt anscheinend Urban.« Rusch senkte den Kopf. »Sie geben ihm in kleinen Dosen Morphium. Dafür sagt er alles, was gewünscht wird, und beschwört es auch. Natürlich wird sich alles als sinnlos herausstellen – aber wann, Lisa, wann? Es kann noch Monate dauern, bis man alle Listen durchgegangen ist, die sich mit KZ-Ärzten und Euthanasiebeauftragten beschäftigen. Und das ist es ja, was Urban beschworen hat: Ich soll bei einer dieser Euthanasiekommissionen mitgewirkt haben.« Rusch hob beide Arme und ließ sie resigniert wieder herabfallen. »Ich habe keine Gegenbeweise. Ich kann immer nur wiederholen: ›Ich bin es wirklich nicht.‹«
    »Ich bin es nicht?« sagte Lisa atemlos. »Was heißt das?«
    Rusch schluckte mehrmals, ehe er weitersprach. »Es gab einen Dr. Rusch bei

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