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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Blödsinn, Major!« sagte Lisa grob. »Ich hatte gedacht …«
    James Braddock nickte mehrmals. Er trank mit Genuß sein Whiskyglas leer und schnalzte mit der Zunge, als wolle er ein Pferd antreiben.
    »Ich weiß, daß man Ihnen nichts vormachen kann, Miß Doktor. Also gut – wir könnten eine kleine Reise machen.«
    »Wir?«
    »Nach Darmstadt.«
    »Nach …«
    »Zu Professor Rusch, richtig.« Braddock goß sich wieder Whisky ein. Er vermied es, Lisa ansehen zu müssen. Er ahnte, daß ihre Sicherheit sich auflöste, daß ihr Gesicht alle Strenge und Härte verlor, und es war diese plötzliche Nacktheit ihres Wesens, die er nicht sehen wollte.
    »Ich habe angefragt und eine Nachricht erhalten: Sie können vor Weihnachten Rusch besuchen und sprechen. Natürlich nur im Beisein von zwei GIs, aber immerhin –«
    »Sie haben …« Dr. Mainetti ergriff Braddocks Hand, als er die Flasche wieder zurückstellen wollte. »Major – warum tun Sie das?«
    »Verdammt – diese deutsche Gründlichkeit, immer alles analysieren zu wollen! Nehmen Sie es doch hin! Fahren wir nach Darmstadt.«
    »Wann?« Es war fast ein Schrei. Ein Jubelschrei.
    »Von mir aus schon morgen.«
    »Morgen habe ich vier Operationen auf dem Plan. Übermorgen?«
    »Auch gut. Übermorgen. Sie dürfen Eßbares mitbringen, was nicht in Büchsen ist.«
    »Eßbares? Sie sind ein Zyniker, Major.« Dr. Mainetti war aufgesprungen. »Darf ich Krankengeschichten mitnehmen …?«
    Braddock starrte zu Lisa empor. In seinem Gesicht spiegelte sich völlige Ratlosigkeit. »Krankengeschichten?«
    »Ja. Und Röntgenplatten und Plastikzeichnungen und –«
    »Sind Sie übergeschnappt, Miß Doktor?«
    Lisa schüttelte wild den Kopf. Ihre langen, schwarzen Haare flogen über ihr schmales Gesicht wie ein schwarzer Schleier im wehenden Sturm.
    »Das verstehen Sie nicht, Major. Walter Rusch ist Arzt, nichts als Arzt. Seine Welt ist der OP, sind seine Patienten, mehr als zehn Pfund Butter oder drei Brote – um es profan zu sagen –, wenn jemand in einer verzweifelten Lage zu ihm kommt und sagt: Hier sind Röntgenbilder. Was würden Sie jetzt tun, was sollen wir machen?«
    Braddock schob die Unterlippe vor. Welch eine Frau, dachte er. Natürlich hat sie recht. Das richtet ihn auf, das zeigt ihm, daß er trotz allem gebraucht wird, das gibt ihm Lebensmut. »Versuchen wir es«, sagte er nachdenklich. »Ich werde mit dem Kommandanten sprechen. Röntgenplatten sind ja nichts Gefährliches. Allerdings werden sie genau überprüft werden. Wegen Geheimnachrichten, verabredeter Zeichen und was es da noch alles gibt.«
    »Und wir fahren bestimmt übermorgen?«
    »Hat James Braddock jemals sein Wort nicht gehalten, Miß Doktor?«
    »Nein.« Lisa breitete die Arme aus. »Ich möchte Sie küssen, Major!« rief sie voller Glückseligkeit.
    »Ich bitte darum.« Braddock schloß die Augen. »Ich mache die Augen zu, nicht aus Leidenschaft, sondern nur, um als Kommandant von Bernegg diese unerlaubte Fraternisation nicht sehen zu müssen.«
    »Sie werden einmal an Ihrem Sarkasmus ersticken, Major«, lachte Lisa. Dann nahm sie Braddocks Kopf in beide Hände und küßte ihn erst auf die Stirn und dann auf die gespitzten Lippen. Braddock öffnete mit einem Lächeln die Augen.
    »So hat mich meine Schwester auch immer geküßt, wenn der kleine James hingefallen war und sein Knie blutete. Aber immerhin – wenn ich im Kasino erzähle, Miß Doktor hat mich geküßt, werden die anderen platzen!« Er steckte die Whiskyflasche in seine Rocktasche und setzte seine Mütze auf. »Das sind die kleinen Freuden eines abseits abgestellten Mannes«, lachte er. »Eigentlich müßte man Professor Rusch schon deswegen bestrafen, weil er von Ihnen geliebt wird. Also denn – bis übermorgen. Ich komme Sie abholen.«
    Der Rest des Tages war für Lisa Mainetti eine Qual. Sie wußte nicht, was sie mit ihrer Freude und ihrem Glück anfangen sollte. Sie rannte durch den kalten, verschneiten Schloßpark, umkreiste den Teich und starrte über das stille Land, bis der Frost von den Füßen her durch den Körper zog und Nase und Ohren zu jucken begannen. Da rannte sie zurück in den Block B und suchte im Zimmer Ruschs alle Röntgenplatten zusammen, die interessant waren, selbst Aufnahmen von Verwundeten, die längst entlassen worden waren. Fast die ganze Nacht hindurch schrieb sie alte Krankengeschichten ab, veränderte die Namen und schrieb nur die ersten Eingriffe hin. Alles andere, die ganze Weiterbehandlung, ließ sie

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