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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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als er anfing, die Steine zu klopfen und die Trümmer zu planieren, als die erste neue Mauer stand – da hatte auch Hedwig Schwabe ihren Widerstand aufgegeben. Außerdem hatte sie Hunger, und Petsch brachte jeden Tag etwas in den Keller: Butter, Eier, Schinken, Schmalz, Kartoffeln, Brotmarken, Kuchen, frisches Gemüse, einmal einen Sack mit zehn Köpfen Blumenkohl, Sauerkraut, rote Rüben und einen Sack mit Rohzucker. Und jedesmal hatte Frau Schwabe gesagt: »Nehmen Sie es mit – wir sind nicht käuflich!« Und Petsch hatte ebenso regelmäßig die Dinge einfach im Keller liegen lassen und gewußt, daß Frau Schwabe nach zwei Stunden resignierend die Schultern heben und zu kochen und einzumachen beginnen würde.
    Schließlich war es zur Gewohnheit geworden. Petsch sorgte für Ursula und Frau Schwabe wie ein Sohn und Ehemann, er aß mit ihnen, verbrachte seine Freizeit mit ihnen, wanderte sonntags mit ihnen in den Grüngürtel und war bei Schwabes das, was man ›zu Haus‹ nennt.
    Der Gedanke, was werden würde, wenn Erich Schwabe zurückkehrte, stand als große Frage vor ihnen in all den Monaten. Aber niemand sprach ihn aus. Nur einmal sagte Petsch zu Ursula: »Ich werde das Kind wie mein eigenes lieben.« Und Ursula hatte geantwortet: »Ich will davon nichts mehr hören. Ich liebe Erich. Nur Erich – damit du's weißt!«
    Nun war Erich Schwabe zurückgekommen, ein Mensch ohne Gesicht, dessen Zukunft nur auf Liebe und Vertrauen baute, ein Mann, so voll kindlicher Freude, daß einem bei seinem Anblick das Herz stockte, wenn man darüber nachdachte, was man ihm verschwieg.
    »Erich wird mit Karlheinz Freundschaft schließen«, sagte Hedwig Schwabe langsam. »Was gewesen ist – wir sollten es alle vergessen, Uschi. Man kann es nicht ungeschehen machen, aber man kann die Erinnerung daran in sich abtöten.«
    »Nicht, wenn ich ihn täglich sehe!« rief Ursula verzweifelt.
    Frau Schwabe hob hilflos die Hände. »Was sollen wir denn sonst anderes tun?«
    »Wenn ich es ihm sage?«
    »Nicht jetzt. Vielleicht später. Er ist so glücklich.«
    »Wir werden ein Kind haben, Mutter. Um des Kindes willen wird Erich …«
    Frau Schwabe senkte den Kopf und schlug beide Hände vor das Gesicht. »Ich weiß es nicht«, stöhnte sie. »Es ist so furchtbar. Auch ich habe mich falsch benommen. Ich habe ja auch Schuld. Ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll.«
    »Es gibt nur eine Möglichkeit: Karlheinz muß wegziehen!«
    »Aber er wird nicht gehen.«
    »Ich werde ihn zwingen.«
    »Wie?«
    »Ich werde ihm sagen, daß ich Erich alles beichten werde.«
    »Darauf wartet er ja nur.«
    »Dann werde ich ihn mit einem Stein erschlagen!« schrie Ursula. »Ich lasse mir mein Glück nicht nehmen.« Und plötzlich weinte sie und lehnte den Kopf an die feuchte Kellerwand. »Was habe ich denn getan?« schluchzte sie. »Es war doch nur aus Verzweiflung. Ich wußte ja gar nicht, was ich tat. Ich wollte nur etwas Wärme haben, das Gefühl, nicht allein zu sein – und du, du bist schuld daran!«
    »Ich?« Frau Schwabe sprang auf.
    »Ja, du! Warum hast du mich nicht mit nach Bernegg genommen? Kein Vertrauen hattest du zu mir. Allein wolltest du zu Weihnachten mit Erich sein! Egoistisch warst du – nur dich und deinen Sohn hast du gesehen, und ich war ein Nichts in diesem Augenblick. Ein in die Ecke gekehrter Dreck. Ich habe das gefühlt, und ich hatte Angst – vor den Nächten, vor den Tagen, vor der Zukunft und vor euch. Und da ist es geschehen!«
    Sie warf sich auf das Bett und vergrub das Gesicht in das Kissen. Hochaufgerichtet, steif, stand Hedwig Schwabe im Keller. Die Anklage Ursulas war ihr geheimes, nun laut gewordenes Schuldbekenntnis. Es gab keine Erwiderung mehr darauf.
    »Es ist gut«, sagte Frau Schwabe mit fester Stimme. »Ich werde gehen. Ich werde Platz machen. Eine alte Frau mehr oder weniger – was spielt das für eine Rolle? Aber ihr seid jung, ihr habt das Leben noch vor euch, und das Kind braucht euch, so wie Erich einmal mich gebraucht hat. Ich gehe gleich.«
    »Das ist doch Dummheit, Mutter.«
    »Nein, nein. Wenn es Erich einmal erfährt – ich nehme die Schuld auf mich. Ich bin eine alte Frau, mir wird man verzeihen. Und wenn nicht – was kümmert's mich? Ich habe das Leben hinter mir. Auf mich kommt es nicht an. Die Hauptsache ist, daß ihr glücklich werdet.«
    Frau Schwabe packte ihren Koffer, als Erich von Karlheinz Petsch zurückkam.
    »Was ist denn das?« fragte er und sah hinüber zu Ursula, die mit verquollenen,

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