Das geschenkte Gesicht
wuschen sich Dr. Mainetti und Professor Rusch. Die Oberschwester sortierte das Instrumentarium. Dr. Urban war außer Haus. Er war einem neuen Transport entgegengefahren, um zwei angekündigte schwerste Fälle schon im Zug zu versorgen. In vier Stunden würden die Sankas mit ihrer wimmernden Last auf dem Schloß eintreffen. Bis dahin würde Schwabe um eine Nasenwurzel reicher sein, man hatte Kaffee getrunken, sich ein wenig erholt, vielleicht sogar eine Stunde schlafen können. Es würde wieder keine Nacht geben, keine Minute zum Ausruhen, nur ein Fließband mit zerstörten Gesichtern, und immer wieder der schon läppische, aber immer noch geglaubte Trost: Keine Angst, mein Junge, es ist alles halb so schlimm!
Dr. Vohrer führte den Kehlkopfspiegel ein und sondierte in die Tiefe; Baumann schob ihm den Intubationsschlauch in die Hand. Vorsichtig ließ Dr. Vohrer den Schlauch in die Luftröhre gleiten, bis er die Teilung der Bronchien spürte.
»Das hätten wir, Erich!« sagte Baumann zufrieden und klopfte Schwabe auf die Schulter. »Das Ding sitzt! Nun hüpf mal schön auf den Tisch. Und wennste wieder aufwachst, kannste mit Willy Fritsch konkurrieren!«
Schwabe erhob sich vorsichtig. Mit dem Schlauch in der Luftröhre, mit heraushängender, auf einem Mullappen festgehakter Zunge ging er langsam zum OP-Tisch und ließ sich hinaufheben.
Keine Angst, Erich, dachte er dabei. Mensch, bloß nicht schlappmachen. Du bekommst eine neue Nase, und Stück für Stück wird alles wieder so, wie's früher war. Ursula wird nicht mehr erschrecken müssen. Ich werde ja wieder ein Mensch. O Gott – ein Mensch!
»Hinlegen!« sagte Baumann.
Die Operationslampe schien Schwabe grell in die Augen. Er schloß die Lider geblendet und hörte jetzt nur noch, was um ihn herum geschah.
»So, mein Lieber«, hörte er Baumanns Stimme, »nu jib mal dein Ärmchen her – so – strecken – noch mehr strecken, den Ellbogen durchbiegen –«
Jemand schlang Schwabe einen Gummischlauch um den Oberarm. »Fest anziehn, und nun machste en hübsches Schleifchen dran, det die Schose ooch hält«, kommandierte Baumann. »So, und nu pump mal, Erich. Immer feste die Faust auf- und zumachen. So is det richtich, man könnte denken, du hättest det auswendich jelernt. Tupfer und Äther!« brüllte er den Sani an, dann reinigte er die Haut in der Ellenbeuge und klopfte auf den Unterarm Schwabes. »SEE-Spritze!« Dr. Mainetti hatte auf das Stichwort gewartet. Sie tastete den Venenplexus ab und stach eine Ader an. Blut floß in die Spritze. »Loslassen!« Der Sani entfernte vorsichtig den Gummischlauch vom Oberarm, und Lisa injizierte das Narkotikum, langsam und mit ruhiger, sicherer Hand.
»Det is det Nirwana«, sagte Baumann fröhlich. »In wenigen Sekunden träumste süß un selig, Erich.«
Schwabe spürte, wie an seinem Mund gearbeitet wurde. Dr. Vohrer schloß den Intubationsschlauch an. Das war ein denkbar primitives Verfahren: Auf das äußere Ende des Schlauches wurde ein Trichter gesetzt, in den ein dicker Wattebausch kam, auf den man später den Äther für die Narkose träufelte. Die Mundhöhle Schwabes wurde mit Mullbinden ausgestopft, wie das Fell eines Teddybären mit Sägespänen. Immer wieder kontrollierten Baumann und Dr. Vohrer und stopften noch mehr Mullbinden in den Mund, bis Schwabe keine Seitenluft mehr bekam. Er atmete nun nur noch durch den Intubationsschlauch, kurz, stoßartig und schnell. Baumann beugte sich über ihn. Schwabe schlug die Augen auf, aus seinem Blick schrie höchste Qual.
»Keine Angst, Erich«, sagte Baumann Begütigend. »Es kann dir gar nichts passieren. Nur schöner wirste.«
Dr. Vohrer setzte sich neben den OP-Tisch. Er hatte während der Operation die Aufgabe, auf Puls und Atmung zu achten, die Narkose durch Ätherträufeln zu steuern und vor allem das zu sein, was der Narkotisierende bei dieser Art von Anästhesie immer sein sollte: auf keinen Fall im Weg der operierenden Chirurgen.
»Alles fertig!« rief Dr. Vohrer zu den Waschbecken hinüber. Dr. Mainetti kam an den Tisch und blickte auf Schwabe. Sie blinzelte ihm zu, und dieses kleine Augenzwinkern war mehr als alle Worte Baumanns. Schwabe wurde ruhig und gefaßt. Das unbegrenzte Vertrauen zu Lisa Mainetti verscheuchte alle Angst.
Die SEE-Injektion begann zu wirken, Vohrer träufelte Äther in den Trichter, kontrollierte den Bauchdeckenreflex, Puls und Atemfrequenz. Das Operationsfeld war eingejodet. Ein gestielter Lappen aus der Stirnhaut sollte
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