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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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vernarbte Gesicht, über den dicken, gewölbten Verband. »Na, fühlst du was?« fragte Fritz Adam.
    »Es … es fühlt sich an, als ob was Festes da ist.«
    »Det is se!« lachte der Berliner. »Die neue Neese, Erich! Und nu heul mal los! Ick hab' nach meinem ersten Rollappen wie 'ne jeschwängerte Jungfrau jeflennt.«
    Sie ließen Erich Schwabe allein, und es war gut so. Er lag flach auf dem Rücken, starrte gegen die Decke, und die Tränen rannen ihm aus den Augen und wurden von dem neuen Verband aufgesaugt.
    Ich habe eine neue Nase, dachte er. Mutter … Ursula … ich habe wieder eine Nase. Und plötzlich dachte er an dumme, lächerliche Dinge: Ich kann wieder eine Sonnenbrille tragen. Ich kann wieder auf der Treppe riechen, ob Mutter Reibekuchen gebacken hat. Ich kann – ich kann – mein Gott, was man mit einer Nase alles kann. Man weiß es erst, wenn man keine mehr gehabt hat.
    Später schrieb er einen Brief nach Köln. Er war so aufgeregt und glücklich, daß er kaum den Bleistift halten konnte, und die Buchstaben waren wirr und liefen ineinander wie die ersten Schreibversuche eines dreijährigen Kindes.
    »Mutter! Ursula! Liebe, kleine Uschi! Ich bin operiert worden. Ich werde eine neue, schöne Nase bekommen.
    Eine Nase!
    Wenn Ihr Ostern kommt, werdet Ihr mich nicht erkennen, oder besser: Ihr werdet mich wiedererkennen.
    Meine liebe, kleine Frau – ich bin ja so glücklich. Es wird bald nicht mehr schwer sein, mich wieder so zu lieben wie früher …«
    Erich Schwabe war der fröhlichste Mensch im Block B. Er spielte Skat und lachte, wenn Feininger die Karten hinwarf und schrie: »A Glück hat der! D' Hosen zieht er mir vom Arsch!«
    In der Nacht zum vierten Tag nach der Operation wachte Schwabe von einem wahnsinnigen Schmerz auf. Sein Kopf brannte, als läge er in einem Schmiedefeuer. Durch den ganzen Körper jagten die Stiche, es war unerträglich, es zerriß ihn, es drückte die Därme aus dem Leib.
    Schwabe schnellte im Bett hoch. Mit beiden Händen umklammerte er seinen zerspringenden Kopf, und dann schrie er, grell, unmenschlich, mit den Beinen auf das Bett schlagend, weil mit jedem Schrei ein Teil seines Hirns wegzufliegen schien.
    Dora Graff kam in das Zimmer gerannt. Fritz Adam, Feininger und der Berliner hielten Schwabe fest. Er wollte sich den Verband von der Nase reißen und mit dem Kopf gegen die Wand rennen.
    »Ich verbrenne!« schrie er immer wieder. »Ich verbrenne doch! Hilfe! Hilfe! Mein Kopf verbrennt!«
    Lisa Mainetti kam hereingestürzt. Über den Schlafanzug trug sie den weißen Arztkittel, das lange schwarze Haar fiel losgelöst bis zu den Hüften. Der Wastl Feininger riß die Augen auf und sagte tonlos: »Direkt a Schönheit! Ja, Sakrament!«
    Dr. Mainetti sah die verquollenen Augen Schwabes und die Rötung, die unter dem Verband hervorkroch bis über die Stirn. Das durfte nicht kommen, dachte sie. Wundrose. Streptokokkeninfektion. Damit haben wir nicht gerechnet. Hundertmal ging es gut, und hier geht es schief. Ausgerechnet bei Schwabe. Wir sind zu sicher geworden. Sie sah sich nach Dora Graff um.
    »Eukodal, Höchstdosis!« Dora Graff brachte die Spritze, und Lisa injizierte.
    »Sofort in den OP!« rief sie. Aus Dora Graffs Händen nahm sie die Spritze und injizierte das schmerzstillende Skopolamin. Dann warf sie die Spritze aufs Bett zurück und rannte hinaus zu Professor Ruschs Zimmer.
    Im OP legte man den apathisch gewordenen Schwabe wieder auf den Tisch. Rusch stand im Schlafanzug daneben und begann mit dem Abwickeln des Verbandes, noch während Baumann um Arme und Beine die Lederriemen schnallte.
    »So eine Sauerei!« sagte Professor Rusch, als der Verband auf dem Boden lag.
    Der Mutterboden, in den man das Knorpelstück gesetzt hatte, war dick geschwollen und hellrot. Der Pfropfen selbst hatte sich entzündet und war dabei, sich abzustoßen. Bis zu den Augen zogen sich die entzündlichen Schwellungen hin. Ohne es auszusprechen, wußten Dr. Mainetti und Professor Rusch, daß Erich Schwabe knapp an einer Erblindung vorbeigekommen war.
    »So eine Sauerei!« wiederholte Rusch. Er winkte Baumann. »Prontosilstoß! Vierzig ccm!« Baumann holte Spritze und Ampullen. Dr. Mainetti zog sie auf und injizierte das Sulfonamid in den Gesäßmuskel.
    »Das wird fürs erste genügen«, sagte Rusch. »Ein Glück, daß es Sulfonamide gibt.« Das Wort Wundrose fiel nicht. Auch nicht das Fachwort: Erysipel. Es war das Schreckgespenst der Lazarette. War die Wundrose einmal ausgebrochen,

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