Das geschenkte Gesicht
zunächst den äußeren Defekt decken und, sobald er reaktionslos eingeheilt war, in freier Transplantation ein knöchernes Stützgerüst erhalten. Erst dann konnte man daran denken, etwa noch fehlende Weichteile aus der Wange heranzuziehen und die Nasenlöcher zu formen. Wenn alles gut ging und keine Komplikationen eintraten, waren noch wenigstens vier Operationen notwendig. Dr. Mainetti legte den Verband an.
»Narkose beginnen«, sagte Professor Rusch. Er stand Dr. Mainetti auf der anderen Seite des Tisches gegenüber. »Tief atmen, Junge!« sagte er zu Schwabe.
Die nackte Brust hob und senkte sich ein paarmal, dann wurde die Atmung schwächer, die Lider schlossen sich zuckend zu einem kleinen Spalt, die Augäpfel verdrehten sich nach oben. Dr. Vohrer zählte Puls und Atmung.
»In Ordnung«, meldete er.
Zwei Hände streckten sich nach hinten, die Oberschwester und Famulus Baumann reichten Professor Rusch und Dr. Mainetti die ersten Instrumente. An zwei Körperstellen gleichzeitig begann die Operation: Im Gesicht, an der zerstörten Nase, bereitete Lisa Mainetti ein Wundbett für die Einpflanzung des Knorpelzapfens vor. Professor Rusch legte derweil den Rippenbogen frei und begann, ein genügend großes Knorpelstück auszuschälen.
Es wurde kaum gesprochen. Die Handgriffe waren Hunderte Male geübt, einexerziert wie eine artistische Nummer. Die Ergebnisse der Messungen Dr. Vohrers von Puls, Atmung und Herztätigkeit waren normal, die Narkose war richtig gesteuert, so gut es eben bei dieser Methode ging.
Professor Rusch hatte das Knorpelstückchen ausgeschält und setzte es jetzt in das von Lisa Mainetti vorbereitete Bett ein. Sie hatte eine peinlich genaue Blutstillung vorgenommen, und auch das Umlegen des Knorpelpfropfens mit dem Gewebe geschah wie die Arbeit an einem Filigran. Dann wurde das Operationsgebiet sorgfältig verbunden. Professor Rusch verband selbst, um ein Verrutschen des Knorpels zu vermeiden, während Dr. Mainetti den Schnitt über dem Rippenbogen mit schnellen Handgriffen vernähte.
»Weckspritze!« sagte Rusch, nachdem er noch einmal den Sitz des Verbands kontrolliert hatte. Baumann machte die Injektion. Aber noch bevor sie wirkte, hob man Schwabe vom Tisch herunter auf ein fahrbares Bett und rollte ihn aus dem OP zurück zum Zimmer B/14.
Professor Rusch ließ sich das Mundtuch abbinden und die Kappe abnehmen. Er sah auf die Uhr an der Stirnwand des OP.
»Noch drei Stunden bis zum Massenflicken!« sagte er. »Leg dich hin, Lisa, und schlaf etwas auf Vorrat.«
Sie nickte stumm. Bleierne Müdigkeit kroch in ihr hoch. Die Operation, eine von Hunderten, hatte sie nicht angestrengt, aber der Gedanke an die kommende neue schlaflose Nacht warf sie um. Der Körper revoltierte.
Manchmal beneide ich Urban um sein Morphium, dachte sie und erschrak zugleich über diesen Gedanken.
»Laß Dora Graff in der Nähe sein, wenn Schwabe wieder klar wird«, sagte sie. Dann ging sie auf ihr Zimmer, warf sich aufs Bett und schlief sofort ein.
Erich Schwabe brauchte nur kurze Zeit, um wieder wach zu werden. Die Schmerzen an seiner neuen Nasenwurzel waren durch das SEE gedämpft, aber nicht völlig ausgeschaltet. Ein dumpfer, bohrender Schmerz war es, der durch die Hirnwindungen weiterkroch und an den Haaren nach außen zu gleiten schien.
Fritz Adam und der Berliner saßen an seinem Bett, als er aufwachte. Dora Graff war abgerufen worden: Im Nebenzimmer hatte ein Neuzugang von vorgestern plötzlich begonnen, schrill und durchdringend zu schreien und um sich zu schlagen. Vier Mann seiner Stube mußten den Tobenden festhalten, bis Dora Graff ihm die Beruhigungsinjektion gab. Was Professor Rusch bei der ersten Untersuchung befürchtet hatte, war Gewißheit geworden: Die Kopfverletzung hatte den Verwundeten irrsinnig gemacht.
»Guten Tag, Erich!« sagte auf der Stube B/14 Fritz Adam. Er drückte Schwabe an den Schultern aufs Bett zurück, als dieser sich aufrichten wollte. »Ruhig liegenbleiben! Vor allem den Kopf still halten, 'ne schiefe Gurke willste doch nicht haben.«
Schwabe lag ruhig und tief atmend auf dem Bett. Sein zerrissener, in dicken Narben verheilter Mund ohne Lippen zuckte, seine Augen blickten fragend von einem zum anderen.
»Nun frag schon, Erich!« sagte der Berliner. »Ick hab' det hinter mir.«
»Ist … ist es gelungen, Kameraden?« stotterte Schwabe.
»Das wird sich bald zeigen. Pack mal ganz vorsichtig deine Nase an, ganz sachte!«
Schwabes Hand glitt zitternd nach oben, über das
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