Das Geschwärzte Medaillon (Seelenseher-Trilogie) (German Edition)
Amulett in den Händen und streckte es ihm entgegen. Auch er hielt etwas in der Hand. Es war das Medaillon. Wie gebannt starrte ich auf dieses riesige Bild. Die Ähnlichkeiten zum Sündenfall waren wirklich mehr als deutlich und dennoch hatte es nichts Verworfenes an sich. Es zeigte keine Sünde, wie mir klar wurde. Es zeigte eine Art Wiederholung mit anderem Ausgang. Mit anderen Ureltern. Ich schauderte, als ich wirklich verstand, was es bedeutete. Was es darstellen sollte. Was er darin sah. Einen Neuanfang der Geschichte der Menschheit. Mit mir als Urmutter und mit ihm als Urvater. Mein Blut gefror und ich wollte auf der Stelle umdrehen und davon rennen. Wie konnte es immer noch immer schlimmer werden?
»Wunderschön, nicht wahr?«
Carmens weiche Stimme riss mich aus meiner Erstarrung und meinem Horror vor der Zukunft.
»Ich ... was ... seit wann ist das schon hier?«, brachte ich endlich hervor, als ich meine Gedanken gewaltsam ordnete. Wieder lächelte sie mich so freundlich und ehrlich an. Diese Frau war wahrlich einer Gehirnwäsche unterzogen worden.
»Schon immer. Seit es Infernus gibt.«
Wieder erstarrte ich. Diese Stadt musste schon seit mehr als zwanzig Jahren existieren. Und das hieß, dass dieses Bild schon vor meiner Geburt entstanden war. Jahrhunderte, wahrscheinlich, bevor mein Leben auch nur vermutet werden konnte. Keira und ich wussten nicht im Geringsten, in was wir uns, alleine durch unsere Abstammung, verwickelt hatten. Es war größer als alles, was sich einer von uns auch nur hätte ausmalen können. Das zumindest war etwas, das ich inzwischen mit Sicherheit sagen konnte.
Ungeahnte Verbundenheit
Es war, als würde ich eine andere Welt betreten. Eine andere Welt als die Stadt unter der Erde. Eine andere Welt als die, in der ich groß geworden war. Das hier ... Es war anders.
Eine warme, angenehm feuchte Luft stieß mir entgegen, als die schweren Doppeltüren endlich aufschwangen und das Bild auf ihnen aus meinem Sichtfeld verschwand. Plötzlich war ich von einer braunen, immer gleich aussehenden Umgebung in ein Paradies aus Farben gestolpert. In dem die Farbe Grün der König war. Es war unglaublich. Ich stand an der Grenze eines kleinen Paradieses. Fast hätte ich mir auf die Lippe gebissen bei der Verwendung des Wortes ›Paradies‹. Sofort war nämlich das Bild wieder vor meinen Augen erschienen. Es hatte ein Paradies dargestellt. Sein Paradies und das hier, vor mir, war sicher nur der Anfang.
»Herr Leander erwartet Sie an seiner Lieblingsstelle.«
Ich sah Carmen unverständlich an. Woher sollte ich wissen, wo das sein sollte. Nicht dass ich das Verlangen verspürte, mich freiwillig dorthin zu begeben.
»Äh und wo wäre das?«, fragte ich dann schließlich doch. Ich würde ja so oder so nicht drum herum kommen.
»Es tut mir leid, aber ich darf den Garten nicht betreten.«
»Warum?«, fragte ich überrascht. Wieder lächelte sie mich an, als wäre das hier unten die perfekte Welt.
»Das darf niemand von uns. Keiner außer ihm hat diesen Garten je betreten. Nun ja, Sie sind natürlich die Ausnahme.«
Sollte ich mich darüber jetzt freuen. Ganz sicher nicht.
»Oh, okay.«
»Sie sollten nun hineingehen. Er wartet sicher schon auf Sie.«
Unwillig folgte ich ihrer einladenden Handbewegung. Es war, als würde ich mich in einen tropischen Wald begeben. Die Farben waren so intensiv, dass sie eigentlich nur gemalt sein konnten. Die Luft so sauber, dass es unmöglich erschien, dass wir unter der Erde waren. Aber das, was mich am meisten verwirrte, waren die Pflanzen selbst. Sie kamen mir nicht bekannt vor. Nicht eine Einzige. Ich hatte vielleicht nicht den grünsten Daumen, aber ich kannte ein paar Pflanzen. Aber hier ... Ich konnte nicht eine Einzige mit Namen nennen. Sie sahen alle irgendwie unwirklich aus. Als entstammten sie einer fantastischen Erzählung. Ich blieb erstaunt stehen, als ich nur wenige Schritte hinter der Tür eine Pflanze entdeckte, die die merkwürdigsten Blütenblätter hatte. Sie waren eingerollt und wuchsen an dem dicken Stängel der Decke entgegen, wobei sie das Licht zu reflektieren schienen und das ganze Farbenspektrum eines Regenbogens durch das Leuchten erschien. So eine Pflanze existierte nicht. Das war unmöglich. So eine außergewöhnliche Pflanze würde sicher selbst ich kennen. Verwirrt und beeindruckt zugleich ging ich weiter den engen, erdigen Pfad entlang. Er schlängelte sich zwischen den Pflanzen hindurch und wirkte, als sei er einfach nur
Weitere Kostenlose Bücher