Das geschwaerzte Medaillon
Orden hat das nichts zu tun. Es geht nur um meine Familie oder das, was davon übrig ist. Vielleicht erzählt er mir auch endlich, was mit meinen Eltern passiert ist. Ich weiß über ihren Tod nicht das Geringste. Ich weiß ja noch nicht einmal wirklich, ob sie überhaupt tot sind. Deshalb muss ich ihn sehen.«
Ich dachte, ich müsste unter ihrem harten Blick schrumpfen, und doch schlug ich mich gut und hielt die Fassade meiner Geschichte aufrecht. Sie war zu echt, als das Keira sie so schnell hätte durchschauen können. Ich wusste nicht, was mit meinen Eltern passiert war und es gab tausende unbeantwortete Fragen, die ich über meine Familie hatte. Als sie ihre verschränkten Arme löste, atmete ich auf. Sie würde mich gehen lassen, und zwar alleine.
»Na schön, aber du könntest wenigstens aussteigen, um dich richtig von mir zu verabschieden.«
Sie funkelte mich böse an, wobei ihre Mundwinkel immer wieder nach oben zuckten.
»Also eigentlich dachte ich, dass ich jetzt weiterfahre. Außer du bestehst auf diese sentimentale Bestätigung unserer Freundschaft.«
Ich grinste sie frech an und sprang aus dem Auto, wobei ich mit meinem Ärmel an der Autotür hängen blieb. Keira musste unwillkürlich lachen.
»Du schaffst es auch immer wieder.«
»Alles andere wäre ja auch langweilig«, sagte ich, während ich sie zum Abschied umarmte.
»Wie lang bleibst du?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Weiß ich noch nicht so genau, aber allzu lange wird es bestimmt nicht dauern.«
»Wenn du das sagst. Schreibe mir auf jeden Fall jeden Tag, damit ich weiß, dass du nicht über deine eigenen Füße gestolpert bist und dir dein Genick dabei gebrochen hast.«
Ich versuchte sie meinerseits böse anzufunkeln, aber das hatte ich auch im Verlauf der letzten Monate nicht gelernt.
Sie lachte und sagte: »Gib es auf, das wirst du nie hinbekommen.«
Ich unterdrückte den Impuls, ihr die Zunge herauszustrecken.
»Das werden wir ja noch sehen. Ich komme bald wieder.«
Ich stieg zurück in meinen Mustang und achtete darauf, nicht wieder irgendwo hängen zu bleiben.
»Melde dich«, war das Letzte, was Keira zu mir sagte, bevor ich den eisblauen Mustang durchs Tor und auf die Straße lenkte. Ich war froh, dass sie nicht die Dolchgriffe entdeckt hatte, die aus meiner Reisetasche hinausragten. Das Wappen meiner Familie war eindeutig zu sehen. Ein brüllender Löwe. Hätte Keira die Dolche gesehen, wäre ihr sofort klar gewesen, dass ich mit Schwierigkeiten rechnete, und dann wäre es mir unmöglich gewesen, sie davon abzuhalten mich zu begleiten. Auch meine Stiefel lagen im Fußraum des Beifahrers. Ich war also für den Fall, dass ich mich verteidigen musste, ausgerüstet. Ich hoffte inständig, dass es nicht dazu kam. Meine Tollpatschigkeit war nicht plötzlich verschwunden. Es wäre sicher ein Segen, aber nichts, das wohl in nächster Zukunft passieren würde.
Amalen lag in kürzester Zeit hinter mir und ich lenkte den Mustang auf die gerade, lange Landstraße. Die Straßenränder waren von einem satten Grün geprägt, das immer wieder von blühenden Farbflecken unterbrochen wurde. Es war offensichtlich, dass der Sommer in das Land Einzug hielt und ich saß im Auto und jagte irgendwelchen schwachsinnigen Ideen hinterher. Hätte ich ein normales Leben, oder noch besser, wenn ich normal wäre, dann würde ich jetzt auf der Terrasse in meinem Hof liegen und ein gutes Buch lesen. Nur leider war ich nicht normal. Ich war eine Seelenseherin, und ich war auch die Einzige. Alles blieb an mir hängen, ob ich es wollte oder nicht. Genau deshalb fuhr ich erneut diese Straße entlang und hoffte irgendwo Antworten zu finden. Ich hoffte, sie bei meinem Großvater zu bekommen, aber auch ihn musste ich erst einmal aufspüren.
Mein Handy vibrierte und holte mich aus meinen trübsinnigen Gedanken. Ich sah kurz von der Straße und hin zum Display. Eine SMS war eingetrudelt und ich konnte mir schon denken, von wem sie war. Ich warf das Handy zurück auf den Beifahrersitz, nachdem ich es mit einem einzigen Handgriff ausgeschaltet hatte. Ich würde später nachsehen. Der Weg nach Galin war zum Glück mehr als einfach. Ich musste lediglich der Landstraße folgen. Sie führte direkt ins Zentrum der Stadt. Morgen Abend würde ich sicher schon dort ankommen, sofern ich nicht ewig lange Pausen machte. Meine Beschäftigung für die nächsten Stunden war also - neben dem selbstverständlichen Autofahren – das Lauschen der neusten Musikkreationen.
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