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Das Gesetz

Das Gesetz

Titel: Das Gesetz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Auswanderung war gelungen, Pharao’s rächende Macht im Schilfmeer versunken, die Wüstenfahrt gnädig vonstatten gegangen und die Schlacht um Kadesch mit Jahwe’s Hilfe gewonnen worden. Groß stand er da vor seines Vaters Geblüt, im Ansehen des Erfolges, als »der Mann Mose, der uns aus Ägypten geführt hat«, und das war es, was er brauchte, um sein Werk beginnen zu können, das Werk der Reinigung und Gestaltung im Zeichen des Unsichtbaren, des Bohrens, Wegsprengens und Formens in Fleisch und Blut, wonach er begehrte.
    Glücklich war er, dies Fleisch nun abgesondert im Freien für sich zu haben in der Oase mit Namen ›Heiligtum‹. Sie war seine Werkstatt.
    Er zeigte dem Volke den Berg, der unter anderen Bergen im Osten von Kadesch hinter der Wüste zu sehen war: Horeb, den man auch Sinai nennen mochte, buschig bewachsen zu zwei Dritteln hinauf und oben kahl, den Sitz Jahwe’s. Daß er es war, schien glaubhaft, denn es war ein eigentümlicher Berg, ausgezeichnet vor seinen Geschwistern durch eine Wolke, die, niemals weichend, dachförmig über seinem Gipfel lag und tags grau erschien, nachts aber leuchtete.
    Dort, hörte das Volk, an dem buschigen Hange des Berges, unterhalb des felsigen Gipfels, hatte Jahwe zu Mose aus dem brennenden Dornstrauch geredet und ihn beauftragt, sie aus Ägypten zu führen. Sie hörten es mit Furcht und Zittern, die bei ihnen noch die Stelle von Ehrfurcht und Andacht einnahmen. Wirklich pflegten sie alle, auch die bärtigen Männer, mit den Knien zu schlottern wie wilde Memmen, wenn Mose ihnen den Berg mit der Dauerwolke zeigte und sie bedeutete, daß der Gott dort saß, der Lust zu ihnen hatte und ihr alleiniger Gott sein wollte, und Mose schalt sie, die Fäuste schüttelnd, ob dieses ordinären Gebarens und ließ es sich angelegen sein, sie mit Jahwe mutig-vertrauter zu machen, indem er ihm auch mitten unter ihnen, zu Kadesch selbst, eine Stätte errichtete.
    Denn Jahwe hatte eine bewegliche Gegenwart, – das hing, wie so manches andere, mit seiner Unsichtbarkeit zusammen. Er saß auf dem Sinai, er saß auf dem Horeb, – nun schuf ihm Mose, kaum daß man sich zu Kadesch in den Dorflagern der Amalekiter ein wenig eingerichtet, ein Heim daselbst, ein Zelt in der Nähe des eigenen, das er das Begegnungs- oder Versammlungszelt, auch wohl die Stiftshütte nannte, und worin er heilige Gegenstände unterbrachte, die eine Handhabe zur Verehrung des Bildlosen boten. Vorwiegend waren es Dinge, die Mose nach der Erinnerung dem Kult des midianitischen Jahwe entnahm: eine Art von Kasten vor allem, mit Tragestangen, auf welchem nach Mose’s Aussage – und er mußte es wissen – die Gottheit unsichtbar thronte, und die man würde mit ins Feld hinausnehmen und vor sich hertragen können zum Kampf, wenn etwa Amalek anrücken und Rache zu nehmen versuchen sollte. Ein eherner Stab mit Schlangenkopf, auch die Eherne Schlange genannt, war bei der Lade verwahrt, zum Andenken an Aarons gutgemeintes Kunststück vor Pharao, doch mit dem Nebensinn, daß es zugleich auch der Stab sein sollte, den Mose ausgereckt hatte über das Schilfmeer, daß es sich teile. Besonders noch aber barg das Jahwe-Zelt auch das sogenannte Ephod, die Schüttel-Tasche, aus der, als Ja oder Nein, Recht oder Unrecht, Gut oder Böse, die Orakel-Lose ›Urim und Tummim‹ sprangen, wenn man gezwungen war, in einer schweren Streitfrage, den Menschen unlösbar, unmittelbar Jahwe’s Schiedsgericht anzurufen.
    Meist nämlich richtete Mose selbst, an Jahwe’s Statt, in allerlei Streit- und Rechtsfragen, die sich unter den Leuten aufwarfen. Es war sogar das erste, was er zu Kadesch tat, daß er eine Gerichtsstelle einrichtete, wo er an bestimmten Tagen Streitfragen schlichtete und Recht sprach: dort wo die stärkste Quelle entsprang, die immer schon Me-Meriba, das ist: ›Prozeßwasser‹, geheißen hatte, dort sprach er Recht und ließ es heilig erfließen, wie das Wasser der Erde entquoll. Bedenkt man aber, daß es insgesamt zwölftausendfünfhundert Seelen waren, die seiner alleinigen Gerechtsame unterstanden, so ermißt man, was für ein geplagter Mann er war. Denn um so mehr Rechtsuchende drängten sich immer zu seinem Quellsitze, als das Recht dem verlassenen und verlorenen Geblüt etwas ganz Neues war und es bisher kaum gewußt hatte, daß es so etwas gäbe, – da es denn nun erfuhr, erstens, daß das Recht mit der Unsichtbarkeit Gottes und seiner Heiligkeit ganz unmittelbar zusammenhänge und in ihrem Schütze stehe,

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