Das Gewicht der Liebe
Kühlschrank würde es an Geschmack verlieren. Roxanne mochte es nicht, Dinge zu verschwenden.
Obwohl es gerade mal acht Uhr war, herrschte an diesem Julimorgen schon eine drückende Hitze, und in der Luft lag ein Anflug jener Feuchtigkeit, die im August das Wetter bestimmen würde. Roxanne war noch im Morgenmantel, barfuß, und hatte einen Bleistift hinter das Ohr geklemmt. Chowder, der Faulenzer der Familie, lag nach dem morgendlichen Auslauf ausgestreckt auf dem Küchenboden, schnaufend und mit sich und der Welt zufrieden.
Roxanne war etwas ungehalten darüber, dass Ty sich heute früh die Zeit für eine Joggingrunde genommen hatte, wo sie doch beide so viel zu tun hatten. Er trug seine alten Shorts und ein T-Shirt mit dem Aufdruck des Massachusetts Institute of Technology, das durch unzähliges Waschen dünn geworden war und angenehm nach sauberem Schweiß roch. Seine ramponierten Laufschuhe waren erst vier Monate alt, hatten jedoch schon Hunderte von Meilen auf dem Buckel. Ty hatte den hochgewachsenen, mageren Körper eines Läufers und Gesichtszüge, die vertraut und anziehend zugleich waren: die Art von großzügig geschnittenem Gesicht, das mit dem Alter an Attraktivität gewann. Als Roxanne ihn Elizabeth, ihrer besten Freundin, vorgestellt hatte, hatte diese anschließend ge sagt, wenn Ty fünfzig sei, werde Roxanne die Konkurrenz mit einem Knüppel abwehren müssen.
Er bedeutete ihr, zum Küchenfenster zu kommen. »Unser Freund ist zurück.« Er zeigte auf einen schillernd grünen Kolibri, der seinen Schnabel in den Kelch einer roten Trompetenblume senkte und mit einer Krone aus gol denem Blütenstaub wieder auftauchte. Einen flüchtigen Moment lang versuchte sich Roxanne vorzustellen, wie sie beide in einem Apartment in Chicago lebten, der Windy City , die für Roxanne – dank der ledergebundenen Ausgabe ihrer Großmutter von Carl Sandburgs Gedichten – immer der »Schweinemetzger der Welt« sein würde. Dort gab es keine Trompetenblumen, keine Kolibris mit Pollenkrönchen.
Es war keine schöne Vorstellung, also legte sie sie in ihrem Kopf unter der Rubrik später ab. In wenigen Stunden würden Ty und sie ein Flugzeug nach Chicago besteigen, wo er an der Universität ein Vorstellungsgespräch für eine Professorenstelle hatte. Einen Monat lang hatte sich Roxanne bemüht, die Möglichkeit eines Umzugs zu akzeptieren, bisher allerdings ohne großen Erfolg. Er war überzeugt, die Stelle zu bekommen, und sollte sich das tatsächlich bewahrheiten, würde »später« zu »jetzt«, und »jetzt« würde gleichbedeutend mit »Problem« werden.
»Wollen wir am Flughafen essen?«, fragte Ty. »Ich weiß doch, dass du dir nur ungern eine Chance auf Fast Food entgehen lässt.«
An diesem Morgen fand sie Witze auf ihre Kosten nicht sonderlich lustig. Was war dabei, wenn Fast Food nun mal die Küche ihrer Wahl war? Nicht jeder war vom Glück so begünstigt, eine Mutter gehabt zu haben, die jeden Abend etwas kochte und im Hinterkopf alle Nahrungsmittelgruppen parat hatte.
»Kannst du Chowder zum Hundesitter bringen?« Sie hörte ihre eigene Stimme – präzise, knapp, etwas frostig – und hätte die Frage am liebsten zurückgenommen, einen neuen Versuch gestartet. Sie wusste, sie war eine Nervensäge, doch je näher der Abflug rückte, desto schwerer fiel es ihr, ihre Befürchtungen zu überspielen. Ihr Verstand sagte ihr, dass Ty seinen Fast-Food-Witz nicht als Kritik ge meint hatte, aber sie waren noch nicht einmal ein Jahr lang verheiratet. Sie war es nicht gewöhnt, gehänselt zu werden, so liebevoll es auch gemeint sein mochte.
Sie legte die Hand auf seinen Unterarm. »Entschuldige, Schatz, ich stehe einfach unter Stress. Meine Konferenz beginnt um eins, aber ein Zimmer voller Lehrer … das kann endlos dauern. Womöglich werden wir gar keine Zeit mehr zum Abendessen haben.«
Roxanne unterrichtete seit über zehn Jahren an der Balboa Middle School. Sie wusste, dass Mitch Stoddard, der Direktor, es verstehen würde, wenn sie nicht erschiene, doch sie hatte noch nie eine Konferenz versäumt, vor allem keine, bei der neue Angestellte vorgestellt, erste Eindrücke gewonnen und haufenweise neue Regeln und Vorschriften präsentiert wurden.
Ty erwiderte: »Kein Problem, ich werde Chowder ins Labor mitnehmen und ihn anschließend absetzen. Sei nicht nervös, Roxy. Alles wird wunderbar klappen.«
»Du hast leicht reden.«
»Chicago wird mich lieben, dich lieben, sie werden uns anbetteln, ihrer Elitefakultät
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