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Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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kann.«
    »Kommt«, rief der Mann, ohne auch nur einen Blick auf sie zu verschwenden. »Es liegt noch ein weiter Weg vor uns, und die Straßen sind von hier an schlechter. Aber keine Angst, sobald wir die Wildnis erreicht haben, könnt Ihr Euch darauf verlassen, dass ich Euch zur Nordschlucht bringe.«
    Tahn hängte sich seinen Wasserschlauch um und stieß Sutter an. Er folgte dem Mann wieder, hielt aber diesmal mehrere Schritte Abstand zu ihm.
    Die späte Sonne beschien noch die letzten vorgelagerten Gebäude, als sie plötzlich einen schmalen Streifen unbebauten Bodens erreichten, hinter dem ein dichtes Gewirr aus Bäumen und Büschen begann.
    »Die Wildnis, Jungs«, erklärte der Mann selbstgefällig. »Ich habe Euch doch gesagt, dass ich Euch herbringen würde.«
    »Es ist spät«, sagte Tahn. »Wir können in einem der Häuser in der Nähe schlafen. Es besteht kein Grund, heute Abend noch übereilt in die Wildnis aufzubrechen.«
    »Unfug«, entgegnete der Mann. »Ihr könnt bereits durch die Wildnis hindurch sein, bevor das letzte Licht von den östlichen Klippen verschwindet. Außerdem schläft es sich in den Betten von Steinsberg hart. Da wärt Ihr mit einem Fleckchen Erde besser bedient.« Er grinste breit. »Achtet gar nicht auf mich«, fuhr er fort. »Ich habe die Gefahren der Wildnis übertrieben dargestellt. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob die Steinsberger sie je als Wildnis bezeichnet haben. Kommt, kommt, ich zeige Euch den Weg.«
    Der Mann setzte sich mit entschlossenen Schritten rasch wieder in Bewegung. Sutter zuckte die Schultern und reihte sich hinter ihm ein. Tahn tastete nach den Stäben in seinem Umhang. Je eher sie in Decalam eintrafen, desto besser. Zwanzig Schritt später waren sie schon von hohen Bäumen umgeben.
    Die dicken Hartholzbäume der Wildnis waren mit feuchten, moosigen Flechten bedeckt, und die Luft war nach dem Regen von Fäulnisgestank erfüllt. Wurzeln schlängelten sich über den Boden, als wären sie unfähig, tiefer im Erdreich Halt zu finden. Das machte den Weg uneben und das Wandern beschwerlich. Zweige wuchsen nicht, wie es natürlich gewesen wäre, auf der Suche nach Sonnenlicht in den Himmel empor, sondern reckten sich in seltsame Richtungen und schienen willkürliche Biegungen zu machen: Viele strebten zum Boden zurück, wo sie Wurzeln schlugen oder zumindest waagrecht weiterwuchsen. Tahn fragte sich, ob im Laufe der Zeit der gesamte Wald zu einer undurchdringlichen Holzwand werden würde.
    Bald wurde das Licht schwächer, verdeckt von den dicht ineinander verflochtenen Zweigen über ihnen. Die Bäume trugen kleine, knospengleiche Blätter, die kaum ausreichten, um Schatten zu spenden, aber die Überfülle von Ästen, die miteinander zu wirren Knoten verwachsen waren, glich den Mangel an Laub mehr als aus.
    Tahn spitzte die Ohren, um die Geräusche der Natur zu hören, an die er sich auf der Jagd in Helligtal gewöhnt hatte. Stattdessen hörte er einen dumpfen Klang tief im Wald, als würde jemand mit dem Holzhammer auf einen ausgehöhlten Baumstamm schlagen. In unregelmäßigen Abständen ertönte auch das Zirpen einer Grille, aber es hielt nie an, sondern brach immer wieder für mehrere Augenblicke ab, bevor sich die gleiche stockende Lautfolge wiederholte. Als sie tiefer in die Wildnis vordrangen, begann ein nach Moschus riechender Nebel aus dem Lehmboden aufzusteigen.
    »Achtet gar nicht auf den Nebel«, sagte der Mann begütigend. »Hitze und Kälte ringen in der obersten Erdschicht miteinander; er wird sich bald wieder legen.«
    »Ihr sagtet, dies sei die Verteidigung der Steinsberger gegen Angriffe gewesen?«, fragte Sutter, während er sich über das Wurzelgewirr vorantastete.
    »Wirkungsvoll, findet Ihr nicht?«
    »Es scheint mir eher so, als würde ein Feind hier Deckung finden, während er näher an die Front gelangt«, sagte Sutter.
    »Es gibt in der Wildnis mehr als nur Bäume, Abenteurer.« Der Mann blieb stehen, drehte sich einmal im Kreis und nickte, während er den Blick über die Baumwipfel über ihren Köpfen schweifen ließ. »Die Wildnis hat so eine Art, einen Mann zu verwirren und dafür zu sorgen, dass er sich selbst vergisst. Viele Gräber liegen in der Wildnis, aber keines ist als solches gekennzeichnet, denn keines war geplant. Es gibt Inschriften in der Stadt, die besagen, dass zuerst die Siedlung entstand, während anderen zufolge die Wildnis älter ist. Was auch immer zutreffen mag, dieser dunkle Hain steht hier schon lange Zeit.

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