Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte

Titel: Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
Vom Netzwerk:
Ich vermute, er hat die Steinsberger ebenso sehr zur Demut gemahnt, wie er böswillige Eindringlinge ferngehalten hat.« Der Mann lächelte über seine eigene Erkenntnis. »Was für ein glorreiches Volk! Wie aufgeklärt. Ganz abgesehen vom Maß ihres Einfallsreichtums und von ihren steinernen Denkmäler haben sie diesem Hain erlaubt, ungezähmt zu wachsen, so dass sein Naturzustand eine Messlatte für die Höhe ihres Fortschritts bildete.«
    Sutter starrte den Mann neugierig an.
    »Vielleicht sind es auch nur Bäume«, fuhr er wenig überzeugend fort. »Vielleicht habe ich mich zu sehr in meine Dokumente und Studien vertieft, um unvoreingenommen zu bleiben.« Er sah Tahn mit funkelnden Augen an. »Wisst Ihr, genau das ist der Grund dafür, dass ich gehofft habe, Euch bis in die Nordschlucht begleiten zu dürfen. Ein guter Erforscher der Vergangenheit muss seine Schlussfolgerungen an den Empfindungen lebender, atmender … Abenteurer messen, meint Ihr nicht?«
    Tahn nickte und ließ den Blick durch den Wald ringsum schweifen. Das Licht malte schwache, verschwommene Muster. Die dicht miteinander verwobenen Zweige über ihnen hinterließen in ihm den Eindruck, dass es in der Wildnis nie heller als jetzt wurde und dass die Nacht noch tiefer und dunkler sein würde, als er sie sich vorstellte.
    Der Mann ließ seinen Mantel durch die Luft wirbeln, indem er sich um sich selbst drehte, bevor er noch tiefer in die Wildnis vordrang. Der Weg, den er einschlug, wand sich wie eine Schlange, und sogar Tahn, der sonst in Wäldern über einen hervorragenden Orientierungssinn verfügte, hatte bald das Gefühl, sich völlig verlaufen zu haben. Das Gelände stieg an und fiel wieder ab, und die Wurzeln wuchsen immer näher beieinander und ließen kaum Zwischenräume frei. Ringsum war Wald: Wurzeln unter ihren Füßen, dunkle Rinde an den Bäumen und ein niedriges Dach aus Ästen … eine Höhle aus Wald. In keiner Richtung konnte Tahn etwas anderes als die tiefe Dunkelheit endloser Baumstämme sehen, die im schattigen Schutz der Wildnis schwarz geworden waren. Der Geruch nach verfaulendem Holz lag drückend in der Luft.
    Dann verschwand binnen eines Augenblicks alles Licht. Das schwache Halbdunkel ging in beinahe völlige Finsternis über, als die Sonne hinter den westlichen Klippen versank. Aus der Ferne hallte das seltsame Geräusch von Holz, das auf Holz traf, in tiefen Tönen herüber, die Tahn eher spürte als hörte, und seltsamerweise endete auch das Grillenzirpen und hinterließ im Hain eine Totenstille, die sogar Sutter sein angeborenes Lächeln verlieren ließ.
    »Ich nehme an, wir erreichen die Nordschlucht doch nicht mehr«, sagte Sutter sarkastisch aus der Dunkelheit.
    »Es ist nicht weit«, erwiderte der Mann, »aber man ist … schlecht beraten, nachts durch die Wildnis zu reisen. Macht Euch keine Sorgen. Ich bin vorsichtig und sorge schon dafür, dass Ihr durchkommt.«
    »Ich werde ein Feuer entzünden«, sagte Tahn. Mit der plötzlichen Dunkelheit war auch die dazugehörige Kälte hereingebrochen.
    »Wenn es sein muss«, antwortete der Mann.
    Tahn glaubte, aus seiner Zustimmung einen gewissen Widerwillen herauszuhören, aber vielleicht lag das auch nur daran, dass die Feuchtigkeit der Wildnis und die Düsternis, die sie umgab, Tahn selbst in mürrische Stimmung versetzt hatten.
    Er schlurfte vorsichtig voran und suchte eine Freifläche ohne Wurzeln am Boden. Sutter sammelte ein paar herabgefallene Äste auf, und bald hatten sie wieder Licht und Wärme. Tahn setzte sich auf eine bucklige Wurzel und zog ein bisschen Brot für sich und Sutter aus der Tasche. Der Feuerschein verlieh der Rinde der nahen Bäume einen düsteren Schimmer. Funken aus dem Feuer wurden von der Hitze nach oben getrieben und erloschen im dichten Geflecht der tiefhängenden Zweige. Ihr Führer saß in der Nähe, behielt das Feuer im Auge und sah abwechselnd Tahn und Sutter an. Er holte kein Essen hervor.
    »Vertraut Ihr mir jetzt, nachdem wir so weit durch die Wildnis gereist sind, genug«, begann er, »um mir Eure wahre Berufung anzuvertrauen?« Er sah Tahn mit hochgezogener Augenbraue an.
    Sutter legte seinen eigenen Brotkanten beiseite und musterte den Mann unverwandt mit starrem Blick, bis der Fremde den Kopf wandte, um ihm in die Augen zu sehen. »Ich baue Wurzelgemüse an«, sagte Sutter mit Nachdruck und fügte hinzu: »Oder habe das zumindest getan. Aber jetzt verbringe ich die Zeit damit, ermüdenden Geschichten zu lauschen. Ich sehne mich

Weitere Kostenlose Bücher