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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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begegnete dem des Freundes und fand in ihm einen Ausdruck tiefer Aufmerksamkeit und Freundlichkeit, der ihm wohltat und ihn beruhigte. Er sah, der andre war ganz seiner Eröffnung hingegeben, er hörte nicht zu, wie man einem Geplauder zuhört oder auch einer interessanten Erzählung, sondern mit der Ausschließlichkeit und Hingabe, mit der man sich in einer Meditation konzentriert, und dabei mit einem reinen, herzlichen Wohlwollen, dessen Ausdruck in Knechts Blick ihn rührte, so herzlich und beinahe kindlich schien er ihm, und es ergriff ihn eine Art von Staunen darüber, diesen Ausdruck im Gesicht desselben Mannes zu sehen, dessen vielfältiges Tagewerk, dessen amtliche Weisheit und Autorität er diesen ganzen Tag hindurch bewundert hatte. Erleichtert fuhr er fort:
    »Ich weiß nicht, ob mein Leben nutzlos und bloß ein Mißverständnis war oder ob es einen Sinn hat. Sollte es einen Sinn haben, so wäre es etwa der, daß ein einzelner, konkreter Mensch unserer Zeit einmal auf das deutlichste und schmerzlichste erkannt und erlebt hat, wie weit Kastalien sich von seinem Mutterlande entfernt hat, oder meinetwegen auch umgekehrt: wie sehr unser Land seiner edelsten Pro
vinz und deren Geist fremd und untreu geworden ist, wie weit in unsrem Lande Leib und Seele, Ideal und Wirklichkeit auseinanderklaffen, wie wenig sie voneinander wissen und wissen wollen. Wenn ich im Leben eine Aufgabe und ein Ideal hatte, so war es das, aus meiner Person eine Synthese der beiden Prinzipien zu machen, zwischen beiden zum Vermittler, Dolmetsch und Versöhner zu werden. Ich habe es versucht und bin gescheitert. Und da ich dir ja doch nicht mein ganzes Leben erzählen kann und du auch nicht alles verstehen könntest, will ich dir nur eine von den Situationen vorführen, die für mein Scheitern bezeichnend sind. Die Schwierigkeit damals nach dem Beginn meines Studiums an der Hochschule bestand nicht so sehr darin, mit den Hänseleien oder Anfeindungen fertig zu werden, die mir als einem Kastalier, einem Musterknaben zuteil wurden. Die paar unter meinen neuen Kameraden, welchen meine Herkunft aus den Eliteschulen eine Auszeichnung und Sensation bedeutete, machten mir sogar mehr zu schaffen und brachten mich in größere Verlegenheit. Nein, das Schwierige und vielleicht Unmögliche war, inmitten der Weltlichkeit ein Leben im kastalischen Sinn weiterzuführen. Anfangs merkte ich es kaum, ich hielt mich an die Regeln, wie ich sie bei euch gelernt hatte, und längere Zeit schienen sie sich auch hier zu bewähren, sie schienen mich zu stärken und zu schützen, schienen mir Munterkeit
und innere Gesundheit zu erhalten und mich in meinem Vorsatz zu bestärken, in dem Vorsatz nämlich, allein und selbständig meine Studienjahre möglichst auf kastalische Art hinzubringen, einzig meinem Wissensdurst nachzugehen und mich nicht in einen Studiengang zwingen zu lassen, der nichts wollte, als den Studenten in möglichst kurzer Zeit möglichst gründlich für einen Brotberuf zu spezialisieren und jede Ahnung von Freiheit und Universalität in ihm abzutöten. Aber der Schutz, den Kastalien mir mitgegeben hatte, erwies sich als gefährlich und zweifelhaft, denn ich wollte ja nicht resignierend und eremitenhaft meinen Seelenfrieden und meine meditative Geistesruhe bewahren, ich wollte ja die Welt erobern, sie verstehen, sie zwingen, auch mich zu verstehen, ich wollte sie bejahen und womöglich erneuern und verbessern, ich wollte ja in meiner Person Kastalien und die Welt zusammenbringen und versöhnen. Wenn ich nach einer Enttäuschung, einem Streit, einer Aufregung mich in die Meditation zurückzog, so war dies anfangs jedesmal eine Wohltat, eine Entspannung, ein Tiefatmen, eine Rückkehr zu guten, freundlichen Mächten. Mit der Zeit aber merkte ich, daß es gerade die Versenkung, die Pflege und Übung der Seele sei, die mich dort isolierte, die mich den andern so unangenehm fremd erscheinen ließ und mich selbst unfähig machte, sie wirklich zu verstehen. Die andern, die Weltleute, wirklich verstehen,
sah ich, konnte ich nur dann, wenn ich wieder wurde wie sie, wenn ich nichts vor ihnen voraushatte, auch nicht diese Zuflucht in die Versenkung. Natürlich ist es aber auch wohl möglich, daß ich den Vorgang beschönige, wenn ich ihn so darstelle. Vielleicht, oder wahrscheinlich, war es einfach so, daß ich ohne gleichgeschulte und gleichgestimmte Kameraden, ohne Kontrolle durch Lehrer, ohne die bewahrende und heilsame Atmosphäre Waldzells allmählich die

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