Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
Disziplin verlor, daß ich träg und unaufmerksam wurde und in Schlendrian verfiel und dies dann in Augenblicken des schlechten Gewissens damit entschuldigte, Schlendrian sei nun einmal eines der Attribute dieser Welt, und indem ich mich ihm überlasse, komme ich dem Verständnis meiner Umgebung näher. Es liegt mir dir gegenüber nichts am Beschönigen, aber ich möchte auch nicht leugnen und verhehlen, daß ich mir Mühe gegeben, gestrebt und gekämpft habe, auch dort, wo ich irrte. Es war mir Ernst. Aber ob nun mein Versuch, mich verstehend und sinnvoll einzuordnen, nur eine Einbildung von mir war oder nicht, jedenfalls geschah das Natürliche, die Welt war stärker als ich und hat mich langsam überwältigt und eingeschluckt; es war genau so, als sollte ich vom Leben beim Wort genommen und völlig der Welt angeglichen werden, deren Richtigkeit, Naivität, Stärke und ontische Überlegenheit ich in unseren Waldzeller Disputationen so sehr ge
priesen und gegen deine Logik verteidigt hatte. Du erinnerst dich.
    Und nun muß ich dich an etwas anderes erinnern, was du vermutlich längst vergessen hast, da es für dich keine Bedeutung hatte. Für mich aber hatte es sehr viel Bedeutung, für mich war es wichtig, wichtig und schrecklich. Meine Studentenjahre waren beendet, ich hatte mich angepaßt, war besiegt, aber keineswegs ganz, vielmehr hielt ich mich im Innern noch immer für euresgleichen und glaubte diese und jene Anpassungen und Abschleifungen mehr aus Lebensklugheit und freiwillig vollzogen als unterliegend erlitten zu haben. So hielt ich auch noch an manchen Gewohnheiten und Bedürfnissen der Jünglingsjahre fest, darunter am Glasperlenspiel, was vermutlich wenig Sinn hatte, denn ohne beständige Übung und beständigen Umgang mit gleichwertigen und namentlich mit überlegenen Spielgenossen kann man ja nichts lernen, das Alleinspielen kann das nur höchstens so ersetzen wie das Selbstgespräch ein wirkliches und echtes Gespräch. Ohne also so recht zu wissen, wie es um mich, um meine Spielkunst, meine Bildung, mein Eliteschülertum stehe, gab ich mir doch Mühe, diese Güter oder mindestens etwas von ihnen zu retten, und wenn ich einem meiner damaligen Freunde, die vom Glasperlenspiel zwar mitzureden versuchten, aber keine Ahnung von seinem Geist hatten, ein Spielschema vorentwarf oder einen
Spielsatz analysierte, mochte es diesem völlig Unwissenden wohl wie Zauberei erscheinen. Im dritten oder vierten meiner Studentenjahre nahm ich an einem Spielkurs in Waldzell teil, das Wiedersehen der Gegend, des Städtchens, unsrer alten Schule, des Spielerdorfes war mir eine wehmütige Freude, du aber warst nicht da, du studiertest damals irgendwo in Monteport oder Keuperheim und galtest für einen strebsamen Eigenbrötler. Mein Spielkurs war ja nur ein Ferienkurs für uns arme Weltleute und Dilettanten, trotzdem machte er mir Mühe, und ich war stolz, als ich am Schluß den üblichen ›Dreier‹ bekam, jenes ›Genügend‹ im Spielzeugnis, das grade noch hinreicht, um seinem Inhaber den Wiederbesuch solcher Ferienkurse zu erlauben.
    Und nun, wieder einige Jahre später, raffte ich mich nochmals auf, meldete mich zu einem Ferienkurs unter deinem Vorgänger an und hatte mein Bestes getan, um mich für Waldzell einigermaßen präsentabel zu machen. Ich hatte meine alten Übungshefte wieder durchgelesen, hatte auch Versuche gemacht, mich wieder ein wenig mit der Konzentrationsübung vertraut zu machen, kurz, ich hatte mich, mit meinen bescheidenen Mitteln, in ähnlicher Weise auf den Ferienkurs hin geübt, gestimmt und gesammelt, wie es etwa ein echter Glasperlenspieler auf das große Jahresspiel hin tut. So rückte ich in Waldzell ein, wo ich mich, nach der Pause von wenigen Jahren,
schon wieder um ein gutes Stück mehr entfremdet, zugleich aber auch bezaubert fühlte, als kehrte ich in eine verlorene schöne Heimat zurück, deren Sprache mir aber nicht mehr recht geläufig sei. Und dieses Mal wurde mir auch mein lebhafter Wunsch, dich wiederzusehen, erfüllt. Du kannst dich daran erinnern, Josef?«
    Knecht blickte ihm ernst in die Augen, nickte und lächelte ein wenig, sagte aber kein Wort.
    »Gut«, fuhr Designori fort, »du erinnerst dich also. Aber was ist es, woran du dich erinnerst? Ein flüchtiges Wiedersehen mit einem Schulkameraden, eine kleine Begegnung und Enttäuschung; man geht weiter und denkt nicht mehr daran, außer wenn man etwa nach Jahrzehnten durch den andern unhöflich daran erinnert wird. Ist es

Weitere Kostenlose Bücher