Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
erfuhr das Spiel, das früher von einzelnen und von Kameradschaften frei betrieben worden, aber allerdings schon lange von der Erziehungsbehörde freundlich gefördert worden war, zuerst in Frankreich und England, die übrigen Länder folgten ziemlich rasch nach. Es wurden nun in jedem Lande eine Spielkommission und ein oberster Spielleiter bestimmt, mit dem Titel Ludi Magister, und es wurden offizielle, unter der persönlichen Leitung des Magisters durchgeführte Spiele zu geistigen Feierlichkeiten erhoben. Der Magister blieb natürlich, wie alle hohen und höchsten Funktionäre der Geistespflege, anonym; außer den paar Nächsten kannte niemand ihn mit seinem persönlichen Namen. Einzig den offiziellen, großen Spielen, für welche der Ludi Magister verantwortlich war, standen die offiziellen und internationalen Verbreitungsmittel wie Rundfunk und so weiter zur Verfügung. Außer der Leitung der öffentlichen Spiele gehörte zu den Pflichten des Magisters die Förderung der Spie
ler und Spielschulen, vor allem aber hatten die Magister aufs strengste über die Weiterbildung des Spieles zu wachen. Die Weltkommission aller Länder allein entschied über die (heute kaum mehr vorkommende) Aufnahme neuer Zeichen und Formeln in den Bestand des Spieles, über etwaige Erweiterungen der Spielregeln, über die Wünschbarkeit oder Entbehrlichkeit neu einzubeziehender Gebiete. Betrachtet man das Spiel als eine Art Weltsprache der Geistigen, so sind die Spielkommissionen der Länder unter Leitung ihrer Magister in ihrer Gesamtheit die Akademie, welche den Bestand, die Fortbildung, die Reinhaltung dieser Sprache überwacht. Jede Landeskommission ist im Besitz des Spielarchives, das heißt sämtlicher bis anher geprüften und zugelassenen Zeichen und Schlüssel, deren Zahl längst eine sehr viel höhere geworden ist als die Zahl der alten chinesischen Schriftzeichen. Im allgemeinen gilt als genügende Vorbildung für einen Glasperlenspieler das Schlußexamen der gelehrten höheren Schulen, namentlich aber der Eliteschulen, doch wurde und wird stillschweigend die überdurchschnittliche Beherrschung einer der führenden Wissenschaften oder der Musik vorausgesetzt. Es einmal bis zum Mitglied der Spielkommission oder gar zum Ludi Magister zu bringen, war der Traum beinahe jedes Fünfzehnjährigen in den Eliteschulen. Aber schon unter den Doktoranden war es nur noch ein winziger Teil, welcher
noch ernstlich an dem Ehrgeiz festhielt, dem Glasperlenspiel und seiner Weiterbildung aktiv dienen zu dürfen. Dafür übten sich alle diese Liebhaber des Spiels fleißig in der Spielkunde und der Meditation und bildeten bei den »großen« Spielen jenen innersten Ring von andächtigen und hingegebenen Teilnehmern, welche den öffentlichen Spielen den feierlichen Charakter geben und sie vor dem Entarten zu bloß dekorativen Akten bewahren. Für diese eigentlichen Spieler und Liebhaber ist der Ludi Magister ein Fürst oder Hohepriester, beinahe eine Gottheit.
Für jeden selbständigen Spieler aber, und gar für den Magister, ist das Glasperlenspiel in erster Linie ein Musizieren, etwa im Sinn jener Worte, die Josef Knecht einmal über das Wesen der klassischen Musik gesagt hat:
»Wir halten die klassische Musik für den Extrakt und Inbegriff unsrer Kultur, weil sie ihre deutlichste, bezeichnendste Gebärde und Äußerung ist. Wir besitzen in dieser Musik das Erbe der Antike und des Christentums, einen Geist heiterer und tapferer Frömmigkeit, eine unübertrefflich ritterliche Moral. Denn eine Moral letzten Endes bedeutet jede klassische Kulturgebärde, ein zur Gebärde zusammengezogenes Vorbild des menschlichen Verhaltens. Es ist ja zwischen 1500 und 1800 mancherlei Musik gemacht worden, Stile und Ausdrucksmittel waren
höchst verschieden, aber der Geist, vielmehr die Moral ist überall dieselbe. Immer ist die menschliche Haltung, deren Ausdruck die klassische Musik ist, dieselbe, immer beruht sie auf derselben Art von Lebenserkenntnis und strebt nach derselben Art von Überlegenheit über den Zufall. Die Gebärde der klassischen Musik bedeutet: Wissen um die Tragik des Menschentums, Bejahen des Menschengeschicks, Tapferkeit, Heiterkeit! Ob das nun die Grazie eines Menuetts von Händel oder von Couperin ist, oder die zu zärtlicher Gebärde sublimierte Sinnlichkeit wie bei vielen Italienern oder bei Mozart, oder die stille, gefaßte Sterbensbereitschaft wie bei Bach, es ist immer ein Trotzdem, ein Todesmut, ein Rittertum, und ein Klang von
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