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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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übernehme, so bin ich bereit, etwaigen Spott hinzunehmen, aber es ist dennoch meine Hoffnung, daß die Mehrzahl von Euch mein Schreiben bis zu Ende lesen und daß einige von Euch mir sogar in einzelnen Punkten zustimmen werden. Das wäre schon viel.
    Eine Einrichtung wie unser Kastalien, ein kleiner Staat des Geistes, ist inneren und äußeren Gefahren ausgesetzt. Die inneren Gefahren, oder doch manche von ihnen, sind uns bekannt und werden von uns beobachtet und bekämpft. Wir schicken immer wieder einzelne Schüler aus den Eliteschulen zurück, weil wir unausrottbare Eigenschaften und Triebe an ihnen entdecken, welche sie für unsere Gemeinschaft
untauglich und gefährlich machen. Die meisten von ihnen, so hoffen wir, sind darum noch nicht Menschen minderen Wertes, sondern nur für das kastalische Leben ungeeignet und können nach der Rückkehr in die Welt ihnen gemäßere Lebensbedingungen finden und tüchtige Männer werden. Unsre Praxis hat sich in dieser Hinsicht bewährt, und im großen ganzen kann man von unserer Gemeinschaft sagen, daß sie auf ihre Würde und Selbstzucht hält und ihrer Aufgabe genügt, eine Oberschicht, einen Adelsstand des Geistes darzustellen und immer neu heranzubilden. Wir haben vermutlich nicht mehr Unwürdige und Lässige unter uns leben, als natürlich und erträglich ist. Schon weniger einwandfrei steht es bei uns mit dem Ordensdünkel, dem Standeshochmut, zu welchem jeder Adel, jede privilegierte Stellung verführt und welche denn auch jedem Adel, bald mit, bald ohne Berechtigung, vorgeworfen zu werden pflegt. In der Gesellschaftsgeschichte geht es stets um den Versuch der Adelsbildung, sie ist deren Spitze und Krone, und irgendeine Art von Aristokratie, von Herrschaft der Besten, scheint das eigentliche, wenn auch nicht immer zugegebene Ziel und Ideal aller Versuche der Gesellschaftsbildung zu sein. Stets hat die Macht, sei es eine monarchische oder eine anonyme, sich bereit finden lassen, einen entstehenden Adel durch Protektion und Privilegien zu fördern, sei es nun ein politischer oder ein anderer Adel,
einer der Geburt oder einer der Auslese und Erziehung. Stets ist der begünstigte Adel unter dieser Sonne erstarkt, stets ist ihm das Stehen in der Sonne und das Privilegiertsein aber von einer gewissen Entwicklungsstufe an zur Versuchung geworden und hat zu seiner Korruption geführt. Wenn wir unseren Orden nun als Adel betrachten und uns daraufhin zu prüfen versuchen, wieweit unser Verhalten zum Ganzen des Volkes und der Welt unsere Sonderstellung rechtfertige, wieweit etwa die charakteristische Adelskrankheit, die Hybris, der Dünkel, der Standeshochmut, die Besserwisserei, das undankbare Nutznießertum, uns schon ergriffen habe und beherrsche, dann können uns manche Bedenken kommen. Es mag dem heutigen Kastalier an Gehorsam gegen die Ordensgesetze, an Fleiß, an kultivierter Geistigkeit nicht fehlen; aber fehlt es ihm nicht oft recht sehr an Einsicht in seine Einordnung in das Volksgefüge, in die Welt, in die Weltgeschichte? Hat er ein Bewußtsein vom Fundament seiner Existenz, weiß er sich als Blatt, als Blüte, Zweig oder Wurzel einem lebenden Organismus angehören, ahnt er etwas von den Opfern, die das Volk ihm bringt, indem es ihn ernährt und kleidet und ihm seine Schulung und seine mannigfachen Studien ermöglicht? Und kümmert er sich viel um den Sinn unsrer Existenz und Sonderstellung, hat er eine wirkliche Vorstellung vom Zweck unseres Ordens und Lebens? Ausnahmen zugegeben,
viele und rühmliche Ausnahmen – ich neige dazu, auf alle diese Fragen nein zu antworten. Der Durchschnittskastalier betrachtet den Weltmann und Ungelehrten vielleicht ohne Verachtung, ohne Neid, ohne Gehässigkeit, aber er betrachtet ihn nicht als Bruder, er sieht in ihm nicht seinen Brotgeber, noch fühlt er sich im geringsten mitverantwortlich für das, was da draußen in der Welt geschieht. Zweck seines Lebens scheint ihm die Pflege der Wissenschaften um ihrer selbst willen oder auch nur das genußvolle Spazierengehen im Garten einer Bildung, die sich gern als eine universale gebärdet, ohne es doch so ganz zu sein. Kurz, diese kastalische Bildung, eine hohe und edle Bildung, gewiß, der ich tief dankbar bin, ist in den meisten ihrer Besitzer und Vertreter nicht Organ und Instrument, nicht aktiv und auf Ziele gerichtet, nicht bewußt einem Größeren oder Tieferen dienstbar, sondern neigt ein wenig zum Selbstgenuß und Selbstlob, zur Ausbildung und Hochzüchtung geistiger

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