Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
Spezialitäten. Ich weiß, daß es eine große Anzahl integrer und höchst wertvoller Kastalier gibt, welche wirklich nichts als dienen wollen, es sind die bei uns erzogenen Lehrer, namentlich jene, welche draußen im Lande, fern von dem angenehmen Klima und den geistigen Verwöhnungen unsrer Provinz, an den weltlichen Schulen einen entsagungsreichen, aber unschätzbar wichtigen Dienst tun. Diese braven Lehrer dort draußen sind, ganz streng genommen, ei
gentlich die einzigen von uns, welche den Zweck Kastaliens wirklich erfüllen und durch deren Arbeit wir dem Lande und Volk das viele Gute heimzahlen, das es an uns tut. Daß unsre oberste und heiligste Aufgabe darin besteht, dem Lande und der Welt ihr geistiges Fundament zu erhalten, das sich auch als ein moralisches Element von höchster Wirksamkeit bewährt hat: nämlich den Sinn für die Wahrheit, auf dem unter andrem auch das Recht beruht – dies weiß zwar jeder von uns Ordensbrüdern sehr wohl, aber bei einiger Selbstprüfung müßten die meisten von uns sich gestehen, daß ihnen das Wohl der Welt, die Erhaltung der geistigen Redlichkeit und Reinlichkeit auch außerhalb unsrer so schön sauber gehaltenen Provinz durchaus nicht das Wichtigste, ja überhaupt nicht wichtig ist und daß wir jenen tapferen Lehrern dort draußen es ganz gern überlassen, durch ihre hingebende Arbeit unsre Schuld an die Welt abzutragen und uns Glasperlenspielern, Astronomen, Musikanten und Mathematikern den Genuß unsrer Privilegien gewissermaßen zu rechtfertigen.
    Mit dem schon besprochenen Hochmut und Kastengeist hängt es zusammen, daß wir uns nicht eben stark darum sorgen, ob wir unsre Privilegien auch durch Leistung verdienen, ja daß nicht wenige von uns sogar auf die ordensmäßige Enthaltsamkeit unserer materiellen Lebensführung sich etwas einbilden, als sei sie eine Tugend und werde rein um ihrer
selbst willen geübt, während sie doch das Minimum an Gegenleistung dafür ist, daß das Land uns unser kastalisches Dasein ermöglicht.
    Ich begnüge mich mit dem Hinweis auf diese inneren Schäden und Gefahren, sie sind nicht unbedenklich, obwohl sie bei ruhigen Zeiten unsre Existenz noch lange nicht gefährden würden. Nun sind wir Kastalier aber nicht nur von unsrer Moral und Vernunft abhängig, sondern ganz wesentlich auch vom Zustand des Landes und dem Willen des Volkes. Wir essen unser Brot, benutzen unsre Bibliotheken, bauen unsre Schulen und Archive aus – aber wenn das Volk keine Lust mehr hat, uns dies zu ermöglichen, oder wenn das Land durch Verarmung, Krieg usw. dazu unfähig wird, dann ist es im selben Augenblick mit unsrem Leben und Studieren zu Ende. Daß unser Land sein Kastalien und unsre Kultur eines Tages als einen Luxus werde betrachten, den es sich nicht mehr erlauben könne, ja sogar daß es uns, statt wie bisher gutmütig stolz auf uns zu sein, eines Tages als Schmarotzer und Schädlinge, ja als Irrlehrer und Feinde empfinden werde – das sind die Gefahren, die uns von außen drohen.
    Wenn ich versuchen wollte, einem Durchschnittskastalier diese Gefahren vor Augen zu stellen, müßte ich es wohl vor allem durch Beispiele aus der Geschichte tun, und ich würde dabei auf einen gewissen passiven Widerstand, auf eine gewisse fast kindlich
zu nennende Unwissenheit und Teilnahmslosigkeit stoßen. Das Interesse für Weltgeschichte ist bei uns Kastaliern, Ihr wißt es, äußerst schwach, ja es fehlt den meisten von uns nicht nur am Interesse, sondern sogar, möchte ich sagen, an Gerechtigkeit gegen die Historie, an Achtung vor ihr. Diese aus Gleichgültigkeit und Überhebung gemischte Abneigung gegen die Beschäftigung mit der Weltgeschichte hat mich des öfteren zur Untersuchung gereizt, und ich habe gefunden, daß sie zwei Ursachen hat. Erstens scheinen uns die Inhalte der Historie – ich spreche natürlich nicht von der Geistes- und Kulturgeschichte, die wir ja sehr pflegen – etwas minderwertig; die Weltgeschichte besteht, soweit wir eine Ahnung von ihr haben, aus brutalen Kämpfen um Macht, um Güter, um Länder, um Rohstoffe, um Geld, kurz, um Materielles und Quantitatives, um Dinge, die wir als ungeistig und eher verächtlich ansehen. Für uns ist das siebzehnte Jahrhundert die Epoche von Descartes, Pascal, Froberger, Schütz, nicht die von Cromwell oder Ludwig XIV . Der zweite Grund unserer Scheu vor der Welthistorie besteht in unsrem ererbten und großenteils, wie ich meine, berechtigten Mißtrauen gegen eine gewisse Art der

Weitere Kostenlose Bücher