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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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jüngst in Waldzell hatte anstellen lassen, nicht das mindeste Zeichen von Störung, Unordnung oder Schlendrian im Leben und Arbeiten des Spielerdorfes ergeben. Und dennoch stand nun hier dieser schreckliche Mann, bis gestern ihm unter seinen Kollegen der liebste, stellte den Kasten mit seinen Amtsinsignien ab wie eine Reisetasche, erklärte, er habe aufgehört, Magister, habe aufgehört, Mitglied der Behörde, aufgehört, Ordensbruder und Kastalier zu sein, und sei nur eben noch schnell gekommen, um Ab
schied zu nehmen. Es war die erschreckendste, schwierigste und häßlichste Lage, in welche sein Amt als Vorstand der Ordensleitung ihn jemals gebracht hatte; er hatte große Mühe gehabt, dabei die Fassung zu bewahren.
    Und was nun? Sollte er zu Gewaltmitteln greifen, etwa den Magister Ludi in Ehrenhaft setzen lassen und sofort, gleich jetzt noch am Abend, Eilbotschaft an alle Mitglieder der Behörde senden und sie zusammenberufen? Sprach etwas dagegen, war es nicht das Nächstliegende und Richtigste? Und doch sprach in ihm etwas dagegen. Und was eigentlich war denn mit solchen Maßregeln zu erreichen? Für den Magister Knecht nichts als Demütigung, für Kastalien nichts, nur höchstens für ihn selbst, den Vorstand, eine gewisse Entlastung und Gewissenserleichterung, indem er dem Widerlichen und Schwierigen nicht mehr als allein Verantwortlicher gegenüberstand. War in der fatalen Sache überhaupt noch etwas gutzumachen, war etwa noch ein Appell an Knechts Ehrgefühl möglich und eine Sinnesänderung bei ihm vielleicht denkbar, so konnte das nur unter vier Augen erreicht werden. Sie beide, Knecht und Alexander, hatten diesen bitteren Kampf auszufechten, niemand sonst. Und indem er dieses dachte, mußte er Knecht zugestehen, daß er im Grunde richtig und edel handle, indem er sich der Behörde, die er nicht mehr anerkannte, entzog, sich aber ihm, dem Vor
stand, zum Endkampf und Abschied stellte. Dieser Josef Knecht, auch wenn er das Verbotene und Verhaßte tat, war doch auch dann noch seiner Haltung und seines Taktes sicher.
    Meister Alexander beschloß, dieser Erwägung zu vertrauen und den ganzen Amtsapparat aus dem Spiel zu lassen. Jetzt erst, da dieser Entschluß gefunden war, begann er der Sache im einzelnen nachzudenken und sich vor allem zu fragen, wie es nun eigentlich mit Recht oder Unrecht im Handeln des Magisters stehe, welcher ja durchaus den Eindruck machte, von seiner Integrität und der Berechtigung seines unerhörten Schrittes überzeugt zu sein. Indem er nun das gewagte Vorhaben des Glasperlenspielmeisters auf eine Formel zu bringen und an den Gesetzen des Ordens nachzuprüfen begann, welche niemand intimer kannte als er, kam er zu dem ihn überraschenden Schluß, daß in der Tat Josef Knecht die Regeln dem Wortlaut nach nicht gebrochen oder zu brechen im Sinn habe, da es nach dem, freilich auf seine Haltbarkeit seit Jahrzehnten nicht nachgeprüften Wortlaut jedem Ordensangehörigen zu jeder Zeit freistand, seinen Austritt zu nehmen, wofern er gleichzeitig auf die Rechte und die Lebensgemeinschaft Kastaliens verzichtete. Wenn Knecht seine Siegel zurückgab, dem Orden seinen Austritt meldete und sich in die Welt hinüber begab, so beging er damit zwar etwas seit Menschengedenken
nicht Erhörtes, etwas Ungewohntes, Erschreckendes und vielleicht sehr Ungehöriges, nicht aber einen Verstoß gegen den Wortlaut der Ordensregeln. Daß er diesen unbegreiflichen, aber formal keineswegs gesetzwidrigen Schritt nicht hinter dem Rücken des Vorstandes der Ordensleitung, sondern Aug in Auge mit ihm tun wollte, war mehr, als wozu er dem Buchstaben nach verpflichtet war. – Aber wie war der verehrte Mann, eine der Säulen der Hierarchie, dahin gekommen? Wie konnte er für sein Vorhaben, das trotz allem Fahnenflucht war, die geschriebene Regel in Anspruch nehmen, da doch hundert ungeschriebene, doch nicht minder heilige und selbstverständliche Bindungen es ihm verbieten mußten?
    Er hörte eine Uhr schlagen, riß sich aus den nutzlosen Gedanken, ging baden, gab sich zehn Minuten lang sorgfältigen Atemübungen hin und suchte seine Meditationsklause auf, um vor dem Schlafen noch eine Stunde Kraft und Ruhe in sich zu speichern und dann bis morgen an diese Angelegenheit nicht mehr zu denken.
    Andern Tages führte ein junger Famulus vom Gästehaus der Ordensleitung den Magister Knecht zum Vorstand und war Zeuge, wie die beiden sich begrüßten. Ihm, der doch an den Anblick von Meistern der Meditation und Selbstzucht

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