0997 - Blut für den Götzen
In der folgenden halben Stunde gehörte ich sicherlich zu den Menschen, die am meisten durcheinander waren. Ich hatte mich kaum mit Sheila unterhalten, denn das war kein Problem fürs Telefon.
Aber ich hatte ihr versprochen, so rasch wie möglich zu ihr zu kommen, und auf der Fahrt dachte ich natürlich an ihren Anruf und lenkte den Rover irgendwie automatisch über Londons Straßen, durch die Dämmerung in die Dunkelheit hinein, die zumindest in der Innenstadt ihre Natürlichkeit verloren hatte, denn zahlreiche, auf Weihnachten getrimmte Lichter blinkten, wollten werben, sandten Grüße aus und versuchten immer wieder auf neue Arten und Variationen, den Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen.
An mir huschten die Lichter vorbei, und auch dem Weihnachtsrummel gegenüber war ich nicht sonderlich zugetan. Wir hatten in diesem Jahr ausgemacht, uns nichts zu schenken. Damit war ich zufrieden.
Ich fuhr wie benommen. Sheila hatte von Scheidung gesprochen, und sie hatte mich gebeten, nichts Suko zu sagen. Daran hatte ich mich gehalten. Er mußte sowieso seinen Fuß pflegen, den er sich beim letzten Fall verstaucht hatte, als er bei einem Sprung in ein Grab unglücklich aufgekommen war.
Sheila und Scheidung.
Das wollte mir nicht in den Kopf. Ich wußte selbst nicht, zum wievielten Mal ich ihn schüttelte, aber ich glaubte daran, daß es sich nur um einen Irrtum handeln konnte, obwohl dieser Satz so deutlich ausgesprochen worden war.
Irgend etwas mußte vorgefallen sein, denn aus einem plötzlichen Gefühl heraus sagte so etwas niemand. Allerdings glaubte ich auch nicht daran, daß Sheila durchgedreht war und einfach nur etwas gesagt hatte, hinter dem sie nicht stand, nein, dafür gab es sicherlich schwerwiegende Gründe. Bis ich sie erfuhr, mußte ich mich noch ein wenig gedulden.
Andere fuhren in den Winterurlaub, ich fuhr durch London, und Sheilas Probleme waren plötzlich auch meine geworden. An einer Ampel mußte ich mal wieder stoppen, ballte die rechte Hand zur Faust und schlug auf den Lenkradring. Verdammt noch mal, das durfte doch nicht wahr sein. Das konnte sich doch nur um einen Irrtum handeln. Ausgerechnet die beiden Conollys, die eine wirklich gute Ehe geführt hatten und durch ihren gemeinsamen Sohn Johnny und unzählige Erlebnisse zusammengeschweißt worden waren. Wie oft hatte der eine um den anderen Angst gehabt und sich Sorgen gemacht! Und nun passierte so etwas.
Das wollte mir nicht in den Kopf.
Die Ampel sprang um. Trotzdem mußten noch einige Kerle bei rotem Licht über die Straße laufen.
Es waren Jugendliche mit Nikolausmützen auf den Köpfen, schon etwas angetrunken. Sie bildeten eine Kette und torkelten, Weihnachtslieder grölend, über die Fahrbahn, wobei einer von ihnen noch auf die Motorhaube meines Rovers schlug, mich angrinste und mir dabei die Zunge herausstreckte.
Dabei erkannte ich, daß ich es mit einem jungen Mädchen zu tun hatte.
Endlich konnte ich starten.
Es dauerte nicht lange, da lagen die City und die Themse hinter mir. Hinein in das südliche London, in ruhigere Gegenden, wo auch zu spüren war, daß Weihnachten vor der Tür stand, denn zahlreiche Bäume in den Vorgärten waren mit Lichterketten geschmückt, die wie Sterne ihr Licht ausstrahlten.
Mochte auch vielen Menschen weihnachtlich zumute sein, mir war einfach nicht danach. Noch immer echote Sheilas Stimme durch meinen Kopf, und ich war auf das persönliche Gespräch mehr als gespannt.
Obwohl mir der Verstand sagte, daß es einfach nicht stimmen konnte, stellte sich das Gefühl quer.
Bill war ein Mann wie jeder andere auch. Und er war ein Mensch. Menschen sind nicht unfehlbar, sonst wären es keine Menschen. Da konnte einem schon etwas in die Quere kommen, auch eine andere Frau, wie es möglicherweise bei Bill der Fall gewesen war.
Nur hatte ich davon nichts bemerkt.
Komisch, denn mir hätte er sich anvertraut, ich war sein ältester Freund und hätte sicherlich auch Sheila gegenüber dicht gehalten, wenn es die Lage erfordert hätte.
Wenn eine Ehe in die Brüche geht, ist das oft genug feststellbar, dann verändern sich die Menschen.
Sie werden fahrig, nervös, weil sie oft genug ein schlechtes Gewissen ihrem Partner gegenüber haben oder gewisse Heimlichkeiten unter einen Hut bringen müssen. So etwas fällt auf. Nur wenige Menschen sind so abgebrüht, daß bei ihnen keine Vorgänge vorgehen.
Ich hatte bei meinem Freund Bill nichts davon bemerkt. Er war wie immer gewesen. Zwar sahen wir uns nicht
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