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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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dieser weise alte Musikant nahm sich der Sache ernstlich an und hat das Spiel meisterhaft gelenkt, wie wir sehen werden. Unter den Händen dieses Meisters wurde die größte Gefahr und Versuchung im Leben des jungen Knecht zu einer auszeichnenden Aufgabe, und dieser zeigte sich ihr gewachsen. Die innere Geschichte der Freund-Feindschaft zwischen Josef und Plinio, oder dieser Musik über zwei Themata, oder dieses dialektischen Spieles zwischen zwei Geistern war etwa die folgende.
    Zunächst war es natürlich Designori, der dem Gegenspieler auffiel und ihn anzog. Er war nicht nur der ältere, war nicht nur ein hübscher, feuriger und
beredter Jüngling, vor allem andern war er einer »von draußen«, ein Nichtkastalier, einer aus der Welt, ein Mensch mit Vater und Mutter, Onkeln, Tanten, Geschwistern, einer, für den Kastalien samt allen seinen Gesetzen, Traditionen und Idealen nur eine Etappe, eine Wegstrecke, einen befristeten Aufenthalt bedeutete. Für diesen weißen Raben war Kastalien nicht die Welt, für ihn war Waldzell eine Schule wie andre, für ihn war die Rückkehr in die »Welt« keine Schmach und Strafe, auf ihn wartete nicht der Orden, sondern die Karriere, die Ehe, die Politik, kurz, jenes »reale Leben«, von welchem mehr zu wissen jeder Kastalier ein heimliches Gelüst empfand, denn die »Welt« war für den Kastalier dasselbe, was sie einst für den Büßer und Mönch gewesen war: das Minderwertige und Verbotene zwar, aber nicht minder das Geheimnisvolle, Verführerische, Faszinierende. Und Plinio nun machte wirklich aus seiner Zugehörigkeit zur Welt kein Geheimnis, er schämte sich ihrer keineswegs, er war stolz auf sie. Mit einem halb noch knabenhaften und schauspielerischen, halb auch schon bewußten und als Programm empfundenen Eifer betonte er seine andere Art und benutzte jeden Anlaß, um seine weltlichen Auffassungen und Normen den kastalischen gegenüberzustellen und sie als besser, richtiger, natürlicher, menschlicher auszugeben. Er operierte dabei viel mit der »Natur« und mit dem »gesunden Menschenverstand«, den er dem verbildeten, lebens
fremden Schulgeist gegenüberstellte, und war mit Schlagworten und großen Tönen nicht sparsam, doch war er klug und hatte Geschmack genug, sich nicht mit groben Provokationen zu begnügen, sondern die in Waldzell gebräuchlichen Formen des Disputierens so ziemlich anzuerkennen. Er wollte die »Welt« und das naive Leben gegen die »hochmütig scholastische Geistigkeit« Kastaliens verteidigen, aber er wollte zeigen, daß er imstande sei, dies mit den Waffen der Gegner zu tun; keineswegs wollte er der Kulturlose sein, der blind im Blumengarten der geistigen Bildung herumtrampelt.
    Je und je schon hatte Josef Knecht als schweigsamer, aber aufmerksamer Zuhörer sich im Hintergrund irgendeiner kleinen Schülergruppe aufgehalten, deren Mittelpunkt und Redner Designori war. Mit Neugierde, mit Erstaunen und Bangigkeit hatte er von diesem Redner Sätze sprechen hören, in welchen alles vernichtend kritisiert wurde, was in Kastalien Autorität und heilig war, in welchen alles bezweifelt, ins Fragwürdige gezogen oder lächerlich gemacht wurde, woran er selbst glaubte. Er bemerkte zwar, daß längst nicht alle Zuhörer diese Reden ernst nahmen, manche hörten sichtlich nur spaßeshalber zu, wie man einem Jahrmarktredner zuhört, auch hörte er häufig Erwiderungen, in denen Plinios Angriffe ironisiert oder ernsthaft zurückgewiesen wurden. Immer aber waren einige Kameraden um diesen
Plinio versammelt, immer war er Mittelpunkt, und ob sich nun gerade ein Opponent fand oder nicht, immerzu übte er Anziehungskraft und etwas wie Verführung aus. Und so, wie es den andern erging, die um den lebhaften Redner Gruppen bildeten und seine Tiraden mit Staunen oder mit Gelächter anhörten, so ging es auch Josef; trotz jenes Gefühls von Bangigkeit, ja von Angst, das er bei solchen Reden empfand, fühlte er sich von ihnen auf eine unheimliche Art angezogen, und nicht nur, weil sie amüsant waren, nein, sie schienen ihn auch im Ernst etwas anzugehen. Nicht daß er innerlich dem kühnen Redner zugestimmt hätte, aber es gab Zweifel, von deren Existenz oder Möglichkeit man nur zu wissen brauchte, um an ihnen zu leiden. Es war vorerst kein schlimmes Leiden, es war nur ein Angerührtsein und eine Unruhe, ein Gefühl, gemischt aus heftigem Drang und schlechtem Gewissen.
    Die Stunde mußte kommen, und sie kam, in der Designori bemerkte, daß er unter seinen Zuhörern einen

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