Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
etwa anderthalb Jahre dauerte diese eigentümliche Periode in Knechts Schülerleben: normale, aber nicht glänzende Zeugnisse und stilles und – wie es nach dem Vorfall mit dem Vorstande scheint – etwas trotziges Sichzurückziehen, keine irgend auffallenden Freundschaften, dafür aber dieser ungewöhnlich leidenschaftliche Eifer im Musizieren, Enthaltung von fast allen Privatfächern, auch dem Glasperlenspiel. Einige Züge in diesem Jünglingsbild sind ohne Zweifel Merkmale der Pubertät; wahrscheinlich ist er in dieser Periode dem andern Geschlecht nur zufällig und mißtrauisch begegnet, vermutlich war er – gleich vielen Eschholzern, wenn sie nicht Schwestern zu Hause hatten – recht schüchtern. Gelesen hat er viel und besonders deutsche Philosophen: Leibniz, Kant und die Romantiker, von denen ihn Hegel weitaus am stärksten anzog.
Wir müssen nun etwas eingehender jenes anderen Mitschülers gedenken, der in Knechts Waldzeller Leben eine bestimmende Rolle gespielt hat, des Hospitanten Plinio Designori. Er war Hospitant, das heißt er durchlief die Eliteschulen gastweise, nämlich ohne die Absicht, dauernd in der pädagogischen Provinz zu verweilen und dem Orden beizutreten. Solche Hospitanten gab es je und je, freilich recht selten, denn die Erziehungsbehörde hat natürlich niemals Wert auf die Ausbildung von Schülern gelegt, welche nach Ablauf der Eliteschulzeit wieder ins Elternhaus und in die Welt zurückzukehren gedachten. Indessen gab es einige alte, um Kastalien in den Zeiten seiner Gründung hochverdiente patrizische Familien im Lande, in welchen die auch heute noch nicht völlig ausgestorbene Sitte bestand, jeweilen einen Sohn, falls seine Begabung dafür ausreichte, gastweise in den Eliteschulen erziehen zu lassen; das Recht dazu war in jenen paar Familien traditionell geworden. Diese Hospitanten nun, obwohl sie in jeder Hinsicht denselben Regeln wie alle Eliteschüler unterstanden, bildeten innerhalb der Schülerschaft schon dadurch eine Ausnahme, daß sie nicht gleich den andern von Jahr zu Jahr mehr ihrer Heimat und Familie sich entfremdeten, sondern alle Ferienzeiten dort verbrachten und inmitten ihrer Mitschüler stets Gäste und Fremdlinge blieben, da sie die Sitte und Denkart der Heimat beibehielten. Auf sie wartete Elternhaus, welt
liche Laufbahn, Beruf und Heirat, und nur sehr wenige Male ist es geschehen, daß ein solcher Gastschüler, vom Geiste der Provinz ergriffen, mit Einwilligung seiner Familie am Ende doch in Kastalien verblieb und dem Orden beitrat. Dagegen sind mehrere in der Geschichte unsres Landes bekannte Staatsmänner in ihrer Jugend Gastschüler gewesen und sind in Zeiten, da die öffentliche Meinung aus diesen oder jenen Gründen den Eliteschulen und dem Orden kritisch gegenüberstand, kräftig für sie eingetreten.
Ein solcher Hospitant also war Plinio Designori, mit welchem der etwas jüngere Josef Knecht in Waldzell zusammentraf. Er war ein Jüngling von hohen Gaben, glänzend namentlich in Rede und Debatte, ein feuriger und etwas unruhiger Mensch, der dem Schulvorstand Zbinden viele Sorgen machte, denn er hielt sich als Schüler zwar gut und ließ sich nicht tadeln, war aber keineswegs darum bemüht, seine Ausnahmestellung als Hospitant zu vergessen und sich möglichst unauffällig einzureihen, sondern bekannte sich freimütig und kampflustig zu einer nichtkastalischen und weltlichen Gesinnung. Es konnte nicht ausbleiben, daß zwischen den beiden Schülern ein besonderes Verhältnis entstand: beide waren sie Hochbegabte und Berufene, das machte sie zu Brüdern, während sie in allem andern Gegensätze waren. Es hätte eines Lehrers von ungewöhnlich hoher Einsicht und Kunst bedurft, um aus der hier entstehen
den Aufgabe die Quintessenz zu ziehen und nach den Regeln der Dialektik zwischen und über den Gegensätzen immer wieder die Synthese zu ermöglichen. Dem Vorstand Zbinden hätte es dazu an Gaben und an Willen nicht gefehlt, er gehörte nicht zu jenen Lehrern, welchen die Genies unbequem sind, aber es fehlte ihm für diesen Fall die wichtigste Voraussetzung: das Vertrauen der beiden Schüler. Plinio, der sich in der Rolle des Outsiders und Revolutionärs gefiel, blieb dem Vorstand gegenüber stets sehr auf der Hut; und mit Josef Knecht hatte es leider jene Verstimmung wegen seiner Privatstudien gegeben, auch er hätte sich nicht um Rat an Zbinden gewandt. Zum Glück gab es aber den Musikmeister. An ihn gelangte Knecht mit der Bitte um Beistand und Rat, und
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