Das Glasperlenspiel
gewesen! Wie haben wir uns darum geplagt, beide, recht aufgeräumt zu erscheinen, recht höflich und beinah kameradschaftlich miteinander zu sein, und wie schwer ist es uns geworden, das lahme Gespräch von einem Thema zum andern zu schleppen! Waren die andern gleichgültig gegen mich gewesen, dies mit dir war schlimmer, diese angestrengte und nutzlose Bemühung um eine einmal gewesene Freundschaft tat viel weher. Jener Abend machte endgültig meinen Illusionen ein Ende, es wurde mir unerbittlich klargemacht, daß ich kein Kamerad und Gleichstrebender, kein Kastalier, kein Mensch von Range sei, sondern ein lästiger, sich anbiedernder Tölpel, ein ungebildeter Ausländer, und daß es in so korrekter und schöner Form geschah und die Enttäuschung und Ungeduld so tadellos maskiert blieb, schien mir eigentlich noch das Schlimmste daran. Hättest du mich gescholten und mir Vorwürfe gemacht, hättest du mich angeklagt:
›Was ist aus dir geworden, Freund, wie konntest du so verkommen?‹, ich wäre glücklich und das Eis wäre gebrochen gewesen. Aber nichts von alledem. Ich sah, es war nichts mit meiner Zugehörigkeit zu Kastalien, nichts mit meiner Liebe zu
-329-
euch und meinen Studien im Glasperlenspiel, nichts mit unserer Kameradschaft. Repetent Knecht hatte meinen lästigen Besuch in Waldzell entgegengenommen, er hatte sich einen Abend lang mit mir geplagt und gelangweilt und hatte mich nun in höchst einwandfreier Form wieder hinauskomplimentiert.«
Designori, mit seiner Erregung kämpfend, brach ab und blickte mit gequältem Gesicht zum Magister hinüber.
Der saß, ganz aufmerksamer Hörer, hingegeben, aber selbst nicht im mindesten erregt, und sah seinen alten Freund mit einem Lächeln an, das voll freundlicher Teilnahme war. Da der andre nicht weitersprach, ließ Knecht seinen Blick auf ihm ruhen, voll Wohlwollen und mit einem Ausdruck von
Befriedigung, ja von Vergnügen, dem der Freund eine Minute oder länger finster standhielt.
»Du lachst?« rief Plinio dann heftig, doch nicht böse.
»Du lachst? Du findest alles in Ordnung?«
»Ich muß sagen«, lächelte Knecht, »du hast den Vor- gang ausge zeichnet dargestellt, ganz ausgezeichnet, es war genau so, wie du es schilderst, und vielleicht war sogar der Rest von Beleidigtsein und Anklage in deiner Stimme nötig, um es so herauszubringen und mir die Szene so vollkommen wieder gegenwärtig zu machen. Auch hast du, obwohl du leider sichtlich die Sache noch immer etwas mit den Augen von damals ansiehst und etwas an ihr nicht verwunden hast, deine Geschichte objektiv richtig erzählt, die Geschichte von zwei jungen Menschen in einer etwas peinlichen Situation, die sich beide etwas verstellen müssen und von denen einer, nämlich du, den Fehler beging, sein wirkliches und ernstliches Leiden unter der Situation ebenfalls hinter flottem Auftreten zu verbergen, statt das Maskenspiel zu durchbrechen. Es scheint sogar ein wenig so, als rechnest du noch heut» die Ergebnislosigkeit jener Begegnung mehr mir als dir zu, obwohl es ja durchaus an dir gewesen wäre, die Situation zu andern.
-330-
Hast du das wirklich nicht gesehen? Aber geschildert hast du es sehr gut, das muß ich sagen. Ich habe in der Tat die ganze Bedrücktheit und Verlegenheit jener wunderlichen Abendstunde wieder empfunden, ich habe wieder für Augenblicke um die Haltung kämpfen zu müssen geglaubt und mich für uns beide ein wenig geschämt. Nein, deine Erzählung stimmt genau. Es ist ein Vergnügen, so erzählen zu hören.«
»Nun«, begann Plinio etwas verwundert, und noch klang etwas Kränkung und Mißtrauen in seiner Stimme mit, »es ist ja erfreulich, wenn wenigstens einem von uns meine Erzählung Spaß gemacht hat. Mir, mußt du wissen, war es gar nicht um Spaß zu tun.«
»Aber jetzt«, sagte Knecht, »jetzt siehst du doch, wie heiter wir diese Geschichte, die ja für uns beide nicht eben ruhmvoll ist, betrachten können? Lachen können wir über sie.«
»Lachen? Warum denn?«
»Weil diese Geschichte von dem Exkastalier Plinio, der sich um das Glasperlenspiel bemüht und um die Anerkennung der einstigen Kameraden, vergangen und gründlich abgetan ist, ebenso wie die von dem höflichen Repetenten Knecht, der trotz aller kastalischen Forme n seine Verlegenheit vor dem hereingeschneiten Plinio so wenig zu verbergen wußte, daß sie ihm heut nach so vielen Jahren wie im Spiegel wieder vorgehalten werden konnte. Nochmals, Plinio, du hast ein gutes Gedächtnis, gut hast du erzählt,
Weitere Kostenlose Bücher