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Das Glasperlenspiel

Das Glasperlenspiel

Titel: Das Glasperlenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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als er sich von den Lehrern wie ein Kollege, ja wie ein Ehrengast behandelt sah, dessen Weggang man jeden Augenblick erwartet, und von den Mitschülern sich halb bewundert oder beneidet, halb auch gemieden, ja beargwöhnt, von einigen Gegnern gehöhnt und gehaßt, von den bisherigen Freunden mehr und mehr getrennt und verlassen sah - da hatte der gleiche Vorgang der Lostrennung und Vereinzelung sich längst schon in seinem Innern vollzogen, es waren ihm von innen, vom eigenen Gefühle her, die Lehrer mehr und mehr aus Vorgesetzten zu Kameraden, die einstigen Freunde zu zurückbleibenden Begleitern einer Wegstrecke geworden, er fand sich in seiner Schule und Stadt nicht mehr unter seinesgleichen und am rechten Orte, sondern das alles war jetzt von einem heimlichen Tode, einem Fluidum von Unwirklichkeit, von Vergangensein durchsetzt, es war zu einem Provisorium, einem abgetragenen und nirgends mehr passenden Kleide geworden. Und dieses Entwachsen aus einer
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    bisher harmonischen und geliebten Heimat, dies Entwerden aus einer ihm nicht mehr zugehörigen und entsprechenden
    Lebensform, dies von Stunden höchster Beglückung und strahlenden
    Selbstgefühls unterbrochene Leben eines
    Abschiednehmenden, Weggerufenen wurde ihm gegen das Ende hin zu einer großen Qual, einem kaum mehr erträglichen Druck und Leide, denn alles verließ ihn, ohne daß er gewiß war, ob nicht eigentlich er es sei, der es ve rlasse, ob er nicht dieses Absterben und Fremdwerden in seiner lieben gewohnten Welt selber verschuldet habe durch Ehrgeiz, durch Anmaßung, durch Hochmut, durch Untreue und Mangel an Liebe. Unter den Schmerzen, die eine echte Berufung mit sich führt, sind diese die bittersten. Wer die Berufung empfängt, der nimmt damit nicht nur ein Geschenk und einen Befehl entgegen, er nimmt auch etwas wie eine Schuld auf sich, so wie der Soldat, der aus den Reihen seiner Kameraden geholt und zum Offizier befördert wird, dieser Beförderung desto würdiger ist, je mehr er sie mit einem Gefühl von Schuld, ja schlechtem Gewissen seinen Kameraden gegenüber bezahlt.
    Indessen war es Knecht beschieden, diese Entwicklung ungestört und in voller Unschuld auszutragen: er war, als ihm schließlich vom Lehrerrat seine Auszeichnung und seine baldige Aufnahme in die Eliteschulen mitgeteilt wurden, davon im Augenblick vollkommen überrascht, wenn auch schon im nächsten Augenblick dies Neue ihm wie längst gewußt und erwartet vorkam. Erst jetzt fiel ihm ein, daß ihm schon seit Wochen je und je einmal das Wort »Electus« oder »Eliteknabe«
    im Sinn eines Spottworts nachgerufen worden war. Er hatte es gehört, aber nur halb, und hatte es niemals anders gedeutet denn eben als Hohn. Nicht »Electus« hatte man ihn nennen wollen, so empfand er es, sondern »Du, der du dich in deinem Hochmut für einen Electus hältst!« Er hatte zuweilen schwer unter diesen Ausbrüchen des Entfremdungsgefühls zwischen ihm und seinen Kameraden gelitten, aber er hätte sich tatsächlich niemals selber
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    für einen Electus gehalten: die Berufung war ihm nicht als Rangerhöhung, nur als innere Mahnung und Förderung bewußt geworden.
    Aber dennoch: hatte er es nicht trotz allem gewußt, immer geahnt, hundertmal gespürt? Nun war es reif, seine
    Beseligungen waren bestätigt und legitimiert, seine Leiden hatten Sinn gehabt, das unerträglich alt und eng gewordene Kleid durfte abgelegt werden, es lag ein neues für ihn bereit.
    Mit seiner Aufnahme in die Elite war Knechts Leben auf eine andre Ebene verpflanzt, es war der erste und entscheidende Schritt in seiner Entwicklung geschehen.
    Es geht durchaus nicht allen Eliteschülern so, daß die amtliche Aufnahme in die Elite mit dem Innern Erlebnis der Berufung zusammenfällt. Das ist Gnade, oder wenn man es banal ausdrücken will: es ist ein Glücksfall. Wem er begegnet, dessen Leben hat ein Plus, so wie der ein Plus besitzt, dem ein Glücksfall besonders glückliche Gaben an Leib und Seele mitgegeben hat. Die meisten Eliteschüler, ja beinahe alle, empfinden zwar ihre Wahl als ein großes Glück, als eine Auszeichnung, auf die sie stolz sind, und sehr viele von ihnen haben sich auch diese Auszeichnung vorher glühend erwünscht.
    Aber der Übergang von der gewöhnlichen heimatlichen Schule in die Schulen von Kastalien fä llt den meisten Auserwählten dann doch schwerer, als sie gedacht hätten, und bringt manchen unerwartete Enttäuschungen. Vor allem ist der Übergang für alle jene Schüler, die in ihrem

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