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Das Glasperlenspiel

Das Glasperlenspiel

Titel: Das Glasperlenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Arbeiten des obersten Spielamtes gehört. Es handelt sich dabei meistens um Anträge zur Aufnahme neuen Stoffes in das Archiv: einer hat zum Beispiel die Geschichte des Madrigals besonders genau durchgearbeitet und in der Stilentwicklung eine Kurve entdeckt, die er musikalisch und mathematisch aufzeichnet, damit sie in
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    den Sprachschatz des Spieles aufgenommen werde. Einer hat das Latein des Julius Cäsar auf seine rhythmischen
    Eigenschaften hin untersucht und hat darin die auffallendsten Übereinstimmungen gefunden mit dem Ergebnis wohlbekannter Intervalluntersuchungen im byzantinischen Kirchengesang.
    Oder ein Schwärmer hat, wieder einmal, eine neue Kabbala zur Notenschrift des fünfzehnten Jahrhunderts erfunden, nicht zu reden von den stürmischen Briefen abwegiger
    Experimentatoren, welche etwa aus einer Vergleichung der Horoskope Goethes und Spinozas die erstaunlichsten Schlüsse zu ziehen wissen und oft sehr hübsch und einleuchtend aussehende mehrfarbige geometrische Zeichnungen beilegen.
    Knecht ging mit Eifer auf die heutige Vorlage ein, er selbst hatte ja Vorschläge dieser Art des öfteren schon im Kopfe gehabt, wenn auch nicht eingesandt; jeder aktive
    Glasperlenspieler träumt ja von einer beständigen Er- weiterung der Spielgebiete, bis sie die ganze Welt umfassen, vielmehr, er vollzieht diese Erweiterungen in seiner Vorstellung und in seinen privaten Glasperlenspielübungen beständig und hegt für diejenigen, welche sich dabei zu bewähren scheinen, den Wunsch, sie möchten aus privaten auch zu offiziellen Erweiterungen werden. Die eigentliche, letzte Finesse des privaten Spielens hochentwickelter Spieler besteht ja eben darin, daß sie der ausdrückenden, namengebenden und formbildenden Kräfte der Spielgesetze so sehr Herr sind, um in ein beliebiges Spiel mit objektiven und historischen Werten auch ganz individuelle, einmalige Vorstellungen mit aufzunehmen.
    Ein geschätzter Botaniker hat davon einmal das drollige Wort gesagt: »Beim Glasperlenspielen muß alles möglich sein, auch daß etwa eine einzelne Pflanze sich mit Herrn Linné auf lateinisch unterhält.«
    Knecht half also dem Magister bei der Analyse des
    vorliegenden Schemas; rasch war die halbe Stunde vergangen, andern Tages fand er sich pünktlich ein, und so kam er zwei
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    Wochen lang täglich, um eine halbe Stunde allein mit dem Magister Ludi zu arbeiten. Schon in den ersten Tagen fiel es ihm auf, daß dieser ihn auch ganz minderwertige Eingaben, deren Unbrauchbarkeit sich dem ersten prüfenden Blick preisgab, trotzdem sorgfältig bis zu Ende kritisch durcharbeiten ließ; er wunderte sich, daß der Meister dafür Zeit habe, und allmählich begann er zu merken, daß es sich hier nicht darum handle, dem Meister Dienste zu tun und ein wenig Arbeit abzunehmen, sondern daß diese Arbeiten, obwohl an sich notwendig, doch vor allem eine Gelegenheit sein sollten, ihn selbst, den jungen Adepten, in artigster Form höchst sorgfältig zu prüfen. Es geschah etwas mit ihm, etwas Ähnliches wie einst in der Knabenzeit beim Erscheinen des Musikmeisters, er merkte es nun plötzlich auch am Verhalten seiner Kameraden, es wurde scheuer, distanzierter, manchmal ironischehrerbietig; es bereitete sich etwas vor, er spürte es, nur war es weniger beglückend als damals.
    Nach der letzten ihrer Sitzungen sagte der
    Glasperlenspielmeister mit seiner etwas hohen, höflichen Stimme in seiner sehr genau akzentuierenden Sprache ohne jede Feierlichkeit: »Es ist gut, du brauchst morgen nicht mehr zu kommen, unser Geschäft ist für den Augenblick beendet, bald werde ich dich allerdings wieder bemühen müssen. Besten Dank für deine Mitarbeit, sie ist mir von Wert gewesen. Übrigens bin ich der Meinung, du solltest jetzt deine Aufnahme in den Orden beantragen; auf Schwierigkeiten wirst du nicht stoßen, ich habe die Ordensbehörde schon verständigt. Du bist doch
    einverstanden?« Dann fügte er aufstehend hinzu: »Noch ein Wort nebenbei: vermutlich neigst auch du, wie die meisten guten Glasperlenspieler es in der Jugend tun, gelegentlich dazu, unser Spiel als eine Art von Instrument für das Philosophieren zu gebrauchen. Meine Worte allein werden dich davon nicht heilen, ich sage sie dennoch: Philosophieren soll man nur mit den legitimen Mitteln, denen der Philosophie. Unser Spiel aber
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    ist weder Philosophie, noch ist es Religion, es ist eine eigene Disziplin und im Charakter am meisten der Kunst verwandt, es ist eine Kunst sui generis. Man

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